Franz Kröger

Übergangsriten im Wandel

Im Aufbau  /  Under Construction!!

Franz Kröger

Übergangsriten im Wandel

Im Aufbau  /  Under Construction!!

 

 

KOMMISIONSVERLAG KLAUS RENNER

 

Umschlagbild: Die Abbildung zeigt L. Amoak (mit Mütze), den Hauptinformanten dieser Arbeit [von 1978], mit seinem etwa zehnjährigen Neffen Ayomo Atiim, der im Hause L. Amoaks die Funktion des Opferers wahrnimmt, und einen Nachbarn. Man opfert einer Stelle im Boden, auf dem früher das Wohngehöft der Ahnin gestanden hat, deren Schrein hier neu entsteht. Die dieser Stelle entnommene Erde hat L. Amoak in einen runden Noppentopf (im Vordergrund des Bildes) gepresst. Das Gefäß mit Erde (ma-bage) repräsentiert die Ahnin, der L. Amoak jährlich Opfer darbringen wird.

D6© Copyright Franz Kröger 1978
All rights reserved
Printed in Germany
ISBN 3-87673-058-2

 

 

Kulturanthropologische Studien

Herausgegeben

von Rüdiger Schott und Günter Wiegelmann

Band 1

 

 

FRANZ KRÖGER

ÜBERGANGSRITEN IM WANDEL

Kindheit, Reife und Heirat
bei den Bulsa in Nord-Ghana

 

1978
KOMMISSIONSVERLAG KLAUS RENNER

Hohenschäftlarn bei München

 

 

 

 

VORWORT [1978]

Das Material der vorliegenden Dissertation konnte während meines zweijährigen Aufenthaltes in Ghana (Dezember 1972 – Dezember 1974) gewonnen werden. Die meiste Zeit verbrachte ich in Cape Coast, wo ich durch Vermittlung des DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst) als Lehrbeauftragter (lecturer) im Fach Deutsch tätig war. Die Feldforschungsarbeiten bei den Bulsa in Nordghana wurden in den Semesterferien (12. – 22. April 1973; 19. Juni – 5. September 1973; 21. Dezember 1973 – 10. Januar 1974; 5. – 15. April 1974; 19. Juni – 7. September 1974) durchgeführt, aber auch in der Vorlesungszeit konnte ich bei den Bulsa von Cape Coast zahlreiche Informationen sammeln und das Forschungsmaterial aus Nordghana mit ihnen überarbeiten.
Es lag ursprünglich in meiner Absicht, bei den Bulsa Material über Generationskonflikte zu sammeln, besonders über solche Konflikte, die durch moderne Einstellungen der Jugendlichen, Schulbesuch, Annahme des Christentums usw. verursacht werden. Es zeigte sich jedoch bald, dass durch Schulbesuch in Internats- oder Ganztagsschulen und durch frühe Auswanderung der Schulabsolventen nach Südhang Konflikte zwischen Eltern und ihren schulerzogenen Kindern nicht voll ausgetragen werden.
Im traditionellen Bereich stellte sich heraus, dass häufig verschiedene Einstellungen zu den sogenannten Lebenskrisen und ihren Übergangsriten (Partnerwahl bei der Verheiratung, Befürwortung oder Ablehnung der Exzision, traditioneller Riten, Opfer usw.) Konflikte zwischen Eltern und ihren Kindern hervorrufen. Eine intensive Beschäftigung mit den Übergangsriten wurde notwendig, die zur Folge hatte, dass der Schwerpunkt der Arbeit stärker von den Konflikten auf die Riten selbst und auf ihre Funktionen in einer sich wandelnden Gesellschaft gelegt wurde.
Zu großem Dank bin ich dem DAAD verpflichtet, der die finanziellen Voraussetzungen für die Feldforschungstätigkeit geschaffen hat, Herrn Prof. R. Schott für seine zahlreichen Ratschläge, Anregungen und Informationen und nicht zuletzt den vielen alten und jungen, gebildeten und analphabetischen Bulsa Informanten.

 

VORWORT ZUR INTERNET AUSGABE (2021)

Vierundvierzig Jahre sind seit dem Druck der 1. Auflage dieses Bandes über die Übergangsriten der Bulsa vergangen, und die Feldforschungen zu dieser (1.) Ausgabe lagen noch einmal fünf Jahre zurück. In der Zeit danach (1978-2020) habe ich neben anderen großen Forschungsarbeiten (s.u.) versucht, meine Daten über die Übergangsriten zu verifizieren bzw. zu falsifizieren und vor allem neues ergänzendes Material zu sammeln. Der Schwerpunkt meiner Arbeiten hat sich in lokaler Hinsicht seit den 1970er Jahren von Sandema-Kalijiisa-Yongsa nach Wiaga-Sinyansa-Badomsa verschoben. Zuerst hatten sich die Pforten des Badomsa-Gehöftes Adeween Yeri oder Asik Yeri durch meinen langjährigen Freund Mr Leander Amoak, dem Gehöftherrn dieses Gehöfts geöffnet. Nach Leanders Tod hatte Anamogsi vom Gehöft Anyenangdu Yeri (Badomsa) mir einen mehr als guten Ersatz geschaffen. Bei meinen 15 Bulsa-Aufenthalten (1972-74, 1978, 1981, 1984, 1986, 1988-89, 1991, 1994, 1997, 2001-02, 2002-03, 2005, 2006, 2008, 2011) habe ich stets Kontakte zum Gehöft Anyenangdu Yeri (Wiaga-Badomsa) gehabt, und dort völlig freizügig forschen und beobachten können.
Seit 1984 habe ich in diesem Gehöft einen eigenen Innenhof bezogen und eine Frau des Gehöftherrn Anamogsi hat meine warmen (traditionellen) Mahlzeiten für mich zubereitet.
Auch wenn der Schwerpunkt meiner Arbeit nach 1974 auf anderen Themen lag (z.B. Erdkult, Divination, materielle Kultur, Sprachstudien für ein Wörterbuch u.a.), so war ich als Bewohner des Gehöfts doch nicht nur in das alltägliche, sondern auch in das rituelle Leben von Anyenangdu Yeri und seiner mehr oder weniger verwandten Nachbargehöfte (Atinang Yeri, Atuiri Yeri, Angoong Yeri, Abasitemi Yeri und Akanming Yeri) eingebunden.
Bei der Aufarbeitung meiner dort gesammelten Daten für eine Neuauflage der “Übergangsriten” ergab sich das Problem, wie die neuen Ergebnisse mit der Erstauflage verknüpft werden sollten. Es war mein Entschluss (und auch meine verbliebene Zeit und meine Gesundheit ließen es nicht anders zu) nicht etwa ein ganz neues Buch zur schreiben, indem die Daten aller Aufenthalte zu einem homogenen Werk verschmelzt werden, sondern meine Dissertation aus dem Jahre 1978 sollte durch neue Daten und Erkenntnisse ergänzt werden. Dieser Plan ist auch deswegen zu vertreten, weil sich die Ergebnisse meiner ersten Feldforschung fast vollständig durch spätere Erhebungen bestätigt haben.
Bei der Themensuche für meine Dissertation und einer Festlegung der Grundstruktur (nach 1973) ergab sich ein Problem. Eigentlich waren als Schwerpunkte der Arbeit die Übergangsriten Geburt, Reife, Heirat und Tod vorgesehen. Zum letztgenannten Unterthema konnte ich zwar schon damals umfangreiche Materialien sammeln, aber es fehlten noch wichtige Daten zum vollständigen Verständnis ihrer Funktion und Bedeutung aller Riten in ihrem zeitlichen Ablauf. Auch hätte die sich sehr umfangreich ausgefallene Darstellung und Analyse des vorhandenen Materials den Rahmen einer Dissertation gesprengt. Daher entschloss ich mich, mit Zustimmung meines Doktorvaters Prof. R. Schott, die mit dem Tod eines Menschen verbundenen Übergangsriten hier auszulassen, um sie einer späteren Monographie in der Form von Goodys Death, Property and the Ancestors (1962) vorzubehalten. Als auch dieser Plan wegen einer Beschäftigung mit anderen Themen und deren Veröffentlichung fehlschlug, blieb nur eine Einfügung in die zweite Auflage (hier eine Internet-Edition) vorzunehmen. Ein voll ausformuliertes Kapitel war hier allerdings aus Gründen meines Alters (85) und meiner Gesundheit nicht mehr möglich. Die Unterkapitel über die Totenfeiern wirken daher vielleicht eher wie eine gegliederte Stoffsammlung, wenn auch dieser Mangel durch einige Aufsätze am Ende des Kapitels etwas kompensiert werden konnte.
Ein weiteres Problem entstand mit der Erstellung der zweiten Auflage. Wie weit sollte die Identität der handelnden Personen und meiner Informanten aus Gründen des Datenschutzes bewahrt bleiben? Sollte ihr Name ausgelassen, verkürzt oder durch ein Pseudonym ersetzt werden?
Beim Verfassen des ersten Textes (vor 1978) bin ich diesem Problem vielleicht etwas zu unbekümmert entgegengetreten. Die Zusammenfassung und Analyse meiner Feldforschungsdaten sollten vor allem den Ansprüchen einer Examensarbeit genügen. Ich wusste nicht, ob meine Dissertation veröffentlicht werden sollte, ob irgendwelche Bulsa jemals in den Besitz dieses deutschsprachigen Buches gelangen würden, um dann seinen Text näher zu studieren.
Heute ist die Situation ganz anders. Bulsa Männer und Frauen haben in Deutschland studiert, sind an der traditionellen Kultur ihrer Ethnie interessiert und können einen digitalisierten Text leicht mit Hilfe eines Internet-Übersetzungsprogrammes (zum Beispiel von Deeple oder Google) leicht ins Englische übersetzen.
Daher habe ich in der neuen Auflage viele Namen verkürzt oder verändert, oder ich habe von den vielen Namen der betroffenen Personen einen in ihrem sozialen Umfeld weniger bekannten Namen ausgesucht. Fotos zu Riten der Beschneidung oder nach einem Ehebruch (kabong) usw. habe ich ausgelassen.
Andere Namen und auch beschriebene Handlungen blieben unverändert bestehen, wenn ich eine ausdrückliche Erlaubnis oder die Zustimmung zu einer Veröffentlichung als sehr wahrscheinlich galt. So erteilte mir Anamogsi, der Gehöftherr von Anyenangdu Yeri (dem lokalen Schwerpunkt meiner Forschungen) ausdrücklich die Erlaubnis, alle Namen und Ereignisse in seinem Gehöft und in den unter seiner Oberaufsicht als kpagi stehenden Nachbargehöfte unverändert zu veröffentlichen.
Inhaltlich möchte ich hier zwei alte Aussagen korrigieren. In der Schilderung der Riten zur weiblichen Ahnenverehrung, erweckte meine Darstellung (Kapitel V, 3b) über das Heimholen des ma-bage Schreins den Anschein, als ob es eine Verbindung zwischen der Verehrung von Ahninnen und dem Erdkult gebe. Wenn die Erde als Inhalt des ma-bage Topfes von dem Erdheiligtum (tanggbain) Pung Muning geholt wurde, so geschah dieses nicht, weil die Stelle zum Erdheiligtum gehörte, sondern weil hier früher einmal das Wohngehöft der Ahnin gestanden hatte.
Bei der Aussage, dass das tanggbain von Kanjaga irgendwelche Verbindung zum juik (Mungo) Kult hat oder dass juik sogar dessen Eigenname ist, habe ich leider eine diesbezügliche Information ohne Nachprüfung übernommen.
Schwieriger ist eine Korrektur formaler Elemente, z.B. in der Buli-Rechtschreibung. Diese lag bei meiner ersten Feldforschung (1972-74) noch nicht fest, und auch heute noch sind für einen einzigen Begriff oft noch mehrere Schreibungen im Umlauf. In der Neuauflage habe ich oft dann die alte Rechtschreibung beibehalten, wenn diese auch heute noch (neben anderen) praktiziert wird, obwohl ich bei den Arbeiten an dem Buli-English Wörter einer anderen Schreibung den Vorzug gegeben habe. Wörter, die sich in einer abweichenden Schreibung offiziell durchgesetzt haben oder in der ersten Ausgabe schlichtweg falsch waren (z.B. Siniensi für Sinyensi) habe ich ersetzt.
Folgende formale Änderungen wurden in der Zweitausgabe durchgeführt:
1) Rechtschreibfehler (z.B. Tippfehler) und Fehler in der Grammatik, Syntax in deutschen Ausdrücken wurden ohne blaue Markierung berichtigt.
2) Schreibweisen der alten deutschen Orthografie (bis 2001) wurden durch die neuen ohne blaue Markierung ersetzt (z.B. dass > dass).

Die Anwendung des Präsens für zum Beispiel soziale und politische Gegebenheiten ist für die Internet-Ausgabe von 2021 oft nicht mehr geeignet, da sich gerade in diesen Bereichen in den letzten Jahren große Veränderungen eingestellt haben.
Es ist dem Autor bewusst, dass durch die vielen eingesetzten neueren Daten mitunter ein Flickenteppich entsteht, der ein flüssiges Lesen erschwert. Es sei jedoch daran erinnert, dass der Autor nicht ein gestalterisch-stilistisches Kunstwerk erstellen, sondern vor allem seine zahlreichen Daten und Erkenntnisse den nachfolgenden Erforschern der Bulsa Kultur zur Verfügung stellen wollte.

Anmerkung zu den Abkürzungen der Internet-Ausgabe: Seitenzahlen der Originalausgabe von 1978 wurden in geschweifte Klammern {…} gesetzt.  Ergänzungen zur ersten Auflage von 1978 erscheinen in blauer Textfarbe.

 

INHALT  (1. Auflage)

VORWORT [1978]
VORWORT ZUR INTERNET-AUSGABE (2021)
VERZEICHNIS DER KARTEN, TABELLEN UND GANZSEITIGENABBILDUNGEN IM TEXT

EINLEITUNG
1. LANDESKUNDE

a) Geographische Lage und Klima
b) Bodenbeschaffenheit und Landschaftsbild
c) Siedlungen

2. SOZIALSTRUKTUR

3. ETHNOGRAPHISCHE LITERATUR

a) Bulsa
b) Benachbarte ethnische Gruppen

4. ABGRENZUNG UND DISKUSSION DER THEMENSTELLUNG

5. METHODE UND ARBEITSTECHNIK

6. DARSTELLUNGSWEISE

KAPITEL I: SCHWANGERSCHAFT
1. ZEUGUNG UND UNFRUCHTBARKEIT

2. SCHWANGERSCHAFT UNVERHEIRATETER FRAUEN

3. ERKENNUNG UND VERKÜNDIGUNG DER SCHWANGERSCHAFT

4. TABUS UND VERHALTENSVORSCHRIFTEN

a) Speiseverbote
b) Sichtverbote
c) Verhaltensvorschriften der Schwangeren
d) Vorschriften für den Gatten

5 . SCHWANGERSCHAFTSZEREMONIEN NACH HÄUFIGEN FEHLGEBURTEN

KAPITEL II:  GEBURT
1. GEBURTSVORGANG
2. HÜFTSCHNÜRE UND AMULETTE
3. GEBOTE, VERBOTE UND EMPFEHLUNGEN

a) Nahrung der Mutter
b) Verhalten der Mutter
c) Verbote und Gebote für das Kind

4. ASCHEBLASEN (POBSlKA)
5. AUSSERGEWÖHNLlCHE ERSCHEINUNGEN BEI DER GEBURT
a) Zwillingsgeburten
b) Missbildungen und körperliche Besonderheiten
c) Harmlosere Erscheinungen
d) Kinder, die am selben Tag geboren wurden
e) Bei Neumond geborene Kinder
6. TOD UND BESTATTUNG
7. WIEDERGEBURT
8. EINSTELLUNGEN UND VERHALTEN DER SCHÜLER-GENERATION

KAPITEL III : NAMENSGEBUNG UND NAMEN
A) NAMENSGEBUNG
1. BESCHREIBUNG EINER NAMENSGEBUNG (SEGRIKA) IN WIAGA-BADOMSA
2. EINE NAMENSGEBUNG IN SANDEMA-KALIJIISA
3. WEITERE INFORMATIONEN ÜBER NAMENSGEBUNGEN

a) Der Anlass
b) Das Alter des Kindes
c) Die Namensgeber
d) Der Schutzgeist (segi)
e) Bericht über eine tanggbain-segrika
f) Tiim-segrika
g) Jadok-segrika
h) Ngmaruk-segrika
i) Kayak-segrika

B) NAMEN
1. METHODISCHE VORBEMERKUNGEN
2. FORMALE UND STRUKTURELLE BETRACHTUNG DER BULI-NAMEN

a) Präfixe und Suffixe
b) Übersetzungshilfen
c) Syntaktische Struktur der Namen

3. GLIEDERUNGSMÖGLICHKEITEN UND GRUPPENBILDUNGEN

a) Konkreta
b) Ortsnamen
c) Begebenheiten zu r Zeit der Geburt
d) Klagen des Vaters
e) Konflikte
f) Lebensweisheit und Verhaltensempfehlung
g) Theophore Namen
h) Adoptionsnamen
i) Sklavennamen
k) Englische Namen in Buli-Form

4. AUSBLICK AUF WEITERE FORSCHUNGSAUFGABEN
5. FREMDE NAMEN

a) Haussa- und islamische Namen
b) Akan-Namen
c) Christliche bzw. englische Namen

6. NAMENSTRÄGER UND NAMEN KAPITEL IV: SKARIFIZIERUNGEN
1. SKARIFIZIERUNGEN UND ÜBERGANGSRITEN
2 . STAMMESNARBEN

a) Formen und ihre örtliche Verbreitung
b) Ausführung der Narbenbeschneidung

3. NARBENSCHMUCK AUS ÄSTHETISCHEN UND SPIELERISCHEN MOTIVEN
4. NABELBESCHNEIDUNG (SIUK-MOBKA)
5. SKARIFIZIERUNGEN NACH FEHLGEBURTEN
6. AKAN-NARBEN
7. EXKURS: TATAUIERUNG
8. EXKURS: KÖRPERBEMALUNG
9. EINSTELLUNGEN DER SCHÜLER UND SCHÜLERINNEN ZU SKARIFIZIERUNGEN UND TATAUIERUNGEN

KAPITEL V: WEN-RITEN
1. NYING – CHIlK – WEN – PAGREM
2. WEN-RITEN MÄNNLICHER PERSONEN
a) Eine wen-piirika Feier
b) Ergänzungen durch andere Informanten
c) Standorte der wen-bogluta
d) Opfer, Umformung und Schmuck
e) Standort eines männlichen wen-bogluk nach dem Tode des Inhabers
f) Wen-bogluta der Bulsa in Südghana
3. WEN-RITEN WEIBLICHER PERSONEN
a) Weibliche wen-bogluta
b) Umformung und Schmuck eines weiblichen wen-bogluk
c) Errichtung eines weiblichen wen-bogluk vor dem Haus
d) Überführung eines ma-bage
4. KONFLIKTE DER CHRISTLICHEN SCHÜlERGENERATION MIT IHREN VÄTERN
5. WEN-VEREHRUNG UND SONNENKULT

KAPITEL VI: BESCHNEIDUNG
1. METHODISCHE SCHWIERIGKEITEN BEI DER MATERIAL-SAMMLUNG
2. EXZISION IM BULSA-LAND
3. AUSFÜHRUNG DER BESCHNEIDUNG
4. DAS MÄDCHEN IM ELTERLICHEN UND SCHWIEGERELTERLICHEN GEHÖFT
a) Pobsika und Speisetabus
b) Behandlung der Wunde
c) Gaasika und ponika
5. EXZISION UND GEBURT
6. EINSTELLUNG DER BESCHNITTENEN MÄDCHEN ZUR EXZISION
a) Positive Einstellung zur Exzision
b) Indifferente Haltung
c) Ablehnende Einstellung zur Exzision
7. EXZISION UND SCHULE
8. JUNGENBESCHNEIDUNG

KAPITEL VII: WERBUNG UND HEIRAT
1. HEIRATSVERBOTE
a) Heiratsverbote großer Gruppen
b) Individuelle Heiratsverbote
c) Übertretung eines Heiratsverbots: ein Beispiel
d) Zusammenfassung
2. WERBUNG UND EHESCHLIESSUNG
a) Eheschließung ohne Werbung
b) Kennenlernen und Werbung
c) Hausbesuche
d) Gewaltsame Entführungen
e) Entführung mit Einwilligung der Frau
f) Ältere Formen der Eheschließung
g) Ehelicher Sexualverkehr
h) Das Schließen des Tores (nansiung ligka)
i) Besuch der Brüder
k) Besuch der Brautmutter
l) Arbeiten des Gatten für die Schwiegereltern
3. DIE POLYGYNE EHE
4. EHEBRUCH
5. AUFLÖSUNG DER EHEGEMEINSCHAFT
6. WIEDERVERHEIRATUNG DER FRAU NACH DEM TODE DES MANNES
7. MODERNE TENDENZEN IN DER JÜNGEREN GENERATION
a) Beachtung der Heiratsverbote und vorgeschriebenen Feindschaften
b) Werbung, Heirat und Schule
c) Christentum und Ehe

SCHLUSS
1. DIE ETHNOGRAPHISCHEN DATEN IN EINEM WEITEREN RAHMEN
2. VERGLEICH MIT ANDEREN ETHNISCHEN GRUPPEN NORDGHANAS
3. FUNKTION DER ÜBERGANGSRITEN
4. TRADITIONELLE RITEN IN DER MODERNEN GESELLSCHAFT

ANMERKUNGEN
BENUTZTE LITERATUR
VERZEICHNIS EINIGER BULI-BEGRIFFE
BESCHREIBUNG DER ABBILDUNGEN
ABBILDUNGEN

VERZEICHNIS DER KARTEN, TABELLEN UND GANZSEITIGEN ABBILDUNGEN IM TEXT

GEOGRAPHISCHE ÜBERSICHTSKARTE: SANDEMA DISTRICT
TÄTIGKEIT DER BULSA IM JAHRESZYKLUS
KLIMA WERTE DER STATION NAVRONGO
ÜBERSICHT ÜBER DIE SYNTAKTISCHE STRUKTUR DER BULI-NAMEN TEILNEHMER AN DEN MA-BAGE RITEN IM HAUSE ADEWEEN-YERI

1. Genealogische Übersicht
2. Namen
WENA IM HAUSE ADEWEEN-YERI: GENEALOGISCHE ÜBERSICHT
BOGLUTA UND ANDERE SAKRALE ORTE UND GEGENSTÄNDE IM HAUSE ADEWEEN-YERI

1. Namen
2. Lageplan
WEN-BOGLUTA lN AMOANUNG-YERI (SANDEMA-KALIJIISA)
1. Genealogische Übersicht
2. Namen
3. Bogluta lebender Personen im Innenhof des Yeri-Nyono (Lageplan)
ZEICHNUNG EINES MÄDCHENS IN BESCHNElDUNGSTRACHT
HEIRATSSYSTEM WIAGAS
VERGLEICHENDE ÜBERSICHT EINIGER RELIGIÖSER BEGRIFFE
VERGLEICH RITUELLER TEILSTRUKTUREN

 

EINLEITUNG

1. LANDESKUNDE

(Karte der ersten Auflage, 1978):

 

Karte 2021: 

a) Geographische Lage und Nachbarethnien
Das Stammesgebiet der Bulsa liegt im äußersten Norden Ghanas von der nördlichen Staatsgrenze (11° nördlicher Breite) nur durch einen etwa 20-25 km breiten Streifen des Nachbarstammes der Kasena getrennt. Die Karte von 1978 gibt Auskunft über zentrale Orte, Verkehrswege, Grenzen und Nachbarstämme der Bulsa. Auf der Karte von 2021 sind außerdem die Grenzen der beiden neuen Distrikte, Bulsa North und Bulsa South verzeichnet. Im Südosten decken sich ethnischen und Verwaltungsgrenzen nicht, denn in den Orten Kunkwa, Jaadem (Giadema), Kategra und nach Aussagen der Bulsa auch in Kpasinkpe, Dibisi, Bulibia, Isiasi spricht man zwar Buli, die Dörfer gehören aber nicht zum Sandema-District der Upper (East) Region, sondern sind der Northern Region zugesprochen worden.
Besuche in Isiasi (Yisesi, 1984 u.a.) und Jaadem (Giadema, 2011) ergaben, dass dieses Mamprusi Dörfer sind, in denen es entweder einige Bulsa Sektionen gibt oder zumindest viele Bewohner Buli sprechen können. Das Dorf Bulibia ist angeblich ausgestorben. Kunkwa und Kategra sind Bulsa-Dörfer, die heute auch gerne wieder verwaltungsmäßig zu einem Bulsa Distrikt zurückkehren möchten. Ein ethnisch ziemlich reines Bulsa Dorf mit einigen später zugewanderten Kasena ist auch Biuk (südlich von Navrongo). Dörfer wie Yikpabongo, Nangruma u.a. konnten als reine Koma Dörfer nachgewiesen werden, deren Sprache zwar mit Buli sehr verwandt ist, deren Kultur sich aber von der der Bulsa deutlich unterscheidet (vgl. Naden 1983/84 and 1986; Kröger 2010 und 2020).

b) Klima und der landwirtschaftliche und rituelle Jahreszyklus [Endnote 1]


Das Gebiet der Bulsa gehört klimatisch gesehen zu den Tropen mit ungegabelter Regenzeit, d.h. das Jahr zerfällt in zwei große Jahreszeiten, in die Trockenzeit (Buli [Endnote 1a]: wenkarik, Pl. wenkarisa) und in die Regenzeit (yue, Pl. yua). Die kürzere Regenzeit (April – Oktober) ist die Zeit des Ackerbaus und eine Zeit, in der das Vieh von Hirten gehütet werden muss, um die zaunlosen Äcker zu schützen. Die heißere Trockenzeit (November – März) ist die Zeit der Feste, rituellen Handlungen, Hauserweiterungen, Hausneugründungen und der Jagd. Der Bauer, seine Söhne oder seine Frau findet aber auch mitunter Zeit für die Anlage eines Trockengartens mit künstlicher Bewässerung, oder der Mann nutzt die Zeit für handwerkliche Tätigkeiten wie Korbflechten, Herstellung von Trittleitern (tiila), usw., während die Frau durch Kalebassenherstellung, Töpferei oder der Produktion von Sheabutter sich einen willkommenen Nebenverdienst schaffen kann.

Kayagsa-Stabrassel

In der Regenzeit ruht das rituelle Leben keineswegs vollkommen. Häufig kann man die Böllerschüsse einer Totengedenkfeier oder die Lieder einer heimziehenden Hochzeitsschar hören. Viele Bräuche, Riten und Tätigkeiten {6} sind jedoch streng an bestimmte Jahreszeiten gebunden. So dürfen etwa junge Mädchen ihre kayagsa-Stabrasseln (durchlöcherte Kalebassenscherben, die auf einem Stock aufgereiht sind) nur in der Zeit von der Saat bis zur ersten Ernte der Frühhirse schlagen, und Mädchenbeschneidungen finden fast nur in der frühen Trockenzeit statt.

Für den Europäer wäre die Regenzeit wohl die klimatisch angenehmere Zeit, wenn nicht die starken Regengüsse die Fortbewegung mit einem Fahrzeug erschwerten, da oft kurze Zeit nach einem einsetzenden Regenschauer weite Gebiete unter Wasser stehen. Wie die Klimawerte der Tabelle (Klimawerte…) [Endnote 1b] eindeutig zeigen, ist der März der heißeste Monat, der auch von den Einheimischen als sehr unangenehm empfunden wird, der August der kühlste Monat, in dem viele Bulsa über die kalten Nächte klagen.

 

c) Bodenbeschaffenheit und Landschaftsbild
Geologisch gesehen liegt das Bulsa-Gebiet am Rande des großen paläozoischen Volta-Beckens, dessen Grenze hier ungefähr mit der Grenze der Northern Region zusammenfällt. Im Bulsa-Land selbst stehen noch ältere Schichten an, wie z.B. metamorphe Laven des Oberen Birrimian im Süden (um Kadema), vor allem aber präkambrische Granitgesteine, die teilweise zu braunen sandigen und steinigen Lehmböden oder stark eisenhaltigen, lateritischen Böden verwittert sind, zum Teil aber in Geröllfeldern, Blockformen oder Felsplatten an die Oberfläche kommen. Diese geben dem zum großen Teil nur schwach bewegten Relief des Landes Abwechslung, bedeuten aber für die Bewohner Landflächen, die in keiner Weise genutzt werden können.
Die Böden selbst sind für die landwirtschaftliche Bearbeitung von unterschiedlicher Qualität, wie die Bodengütekarte im Anhang zu dem Werk von S.V. Adu über die Böden des Navrongo-Bawku-Gebietes [Endnote 2] zeigt. Stark vereinfacht weist der Norden des Sandema-District gute bis mäßig gute Böden auf. Durch die Mitte des Gebietes (um Kanjaga, nördlich von Fumbisi, südlich von Gbedema, um Kadema) zieht sich jedoch ein Streifen recht schlechter Böden, während der Süden (nördlich von Wiesi, südlich von Fumbisi und südlich von Uwasi) die für die Landwirtschaft {7} besten Böden aufzuweisen hat, was auch den meisten Bulsa selbst bekannt ist.
Die Landnutzungskarte bei S.V. Adu [Endnote 3] zeigt, dass die sehr extensiv genutzten Gebiete der Baum-Savanne im Nordwesten und Südosten des Bulsa-Gebietes liegen, während sich von Wiesi bis Chana (Kasena) ein breiter Streifen durch compound farming und Buschfarmen intensiver genutzten Landes zieht.

Savannenlandschaft bei Sandema mit grasenden Kühen

Auch bei den Bulsa schwindet die Naturlandschaft immer mehr, denn der Mensch greift stark in das Landschaftsbild ein. Bei der täglichen Brennholzsuche und bei der Aneignung von Bauholz im “Busch” wird rücksichtslos die Axt an junge und alte Bäume gelegt, nur Fruchtbäume (z.B. Adansonia digitata, Anona senegalensis, Butyrospermum karii, Diospyros mespiliformis u.a.) werden stärker geschont, sodass hier eine Selektion durch den Menschen getroffen wird, auf die bereits G. Benneh [Endnote 4] bei den Kusasi hingewiesen hat.
In den letzten Jahren scheint jedoch das Umweltbewusstsein stärker geworden zu sein. Der Sandemnaab und Paramount Chief Azagsuk Azantilow II (ab 2013) fordert in seinen Reden häufig eine Mäßigung in der Rodung von Buschland, vor allem Schibutterbäume sollten gar nicht geschlagen werden, da ihre Früchte und ihre Bearbeitung zu Schibutter Grundlage für einen sich weiter entwickelnden Wirtschaftszweig sein könnte (s. auch Chalfin 2003).
Findet man im Busch oder zwischen den Siedlungen kleine, dichtbewaldete Landflecken, so kann man fast sicher sein, dass es sich hier um ein Heiligtum (tanggbain) handelt, aus dem kein Holz entnommen werden darf. So kann es fraglich werden, ob dieses Stück Land wegen seines dichten Waldbestandes zu einem tanggbain wurde oder ob hier ein dichter Hain entstand, weil dieses Grundstück als Sitz einer Gottheit angesehen wurde.

d) Siedlungen
Die vorherrschende Siedlungsweise ist die Einzelhof-Streusiedlung (dispersed settlement) [Endnote 5]. Nahezu kreisrunde Gehöfte, die von K.B. Dickson [Endnote 6] als Sudanic compound house(s) bezeichnet werden, sind umgeben von intensiv genutzten Feldern (Hirse, Erdnuss, Neri, verschiedene Bohnenarten, Reis usw.) und verteilen sich unregelmäßig über das bebaute Land.
Der Abstand der Gehöfte untereinander ist gewöhnlich so groß, dass man sich vom Flachdach eines Rundhauses mit den Bewohnern der Nachbargehöfte noch durch Rufe verständigen kann. Wichtige Nachrichten, Befehle, Verbote und Einladungen des Häuptlings werden gewöhnlich durch einen Boten zum Haus des Unterhäuptlings (kambon-naab, Pl. kambon-nalima) gebracht. Von dessen Haus wird die Nachricht {8} durch Rufverbindungen (wiika) den anderen Häusern der Sektion übermittelt.
Da sich heute (2021) in fast jeder Familie wenigstens ein Smartphone mit Zugang zu sozialen Netzwerken usw. befindet, haben die “wiika– Netzwerke” stark an Bedeutung verloren und werden in Zukunft vielleicht nur noch für rituelle Veranstaltungen (z.B. Totengedenkfeiern) Anwendung finden.
Die Felder eines Gehöfts reichen nicht immer bis an die Felder des Nachbargehöfts heran. Dazwischen liegen oft kleinere Grasflächen oder Streifen von Buschland, die als Weiden für Schafe und Ziegen oder als Rindertriften benutzt werden.

Ein kleines Bulsa Gehöft

Das Bulsa-Gehöft (yeri, Pl. yie) gehört zum Typ des von L. Prussin [Endnote 7] beschriebenen Tallensi Compound und unterscheidet sich stark von den im Westen angrenzenden Sisala-Gehöften [Endnote 8]. Jedes Bulsa-Gehöft hat wenigstens einige Flachdach-Rundhäuser, die von den englisch sprechenden Bulsa als rooms (Buli: dok, Pl. diina) bezeichnet werden [Endnote 9]. In einigen Sektionen (z.B. Sandema-Kalijiisa-Anuryeri) sind Strohdächer ganz verboten, im südlichen Bulsa-Land kann man jedoch strohbedeckte Kegeldachhäuser in größerer Zahl antreffen.
Die Aufteilung eines Bulsa-Gehöftes in einen Viehhof (nankpeeng, Pl. nankpensa) und einen Wohnteil mit verschiedenen Wirtschafts- und Wohngebäuden ist bereits von R. Schott in seinem Buch Aus Leben und Dichtung eines westafrikanischen Bauernvolkes [Endnote 10] beschrieben worden. Dort befindet sich auch ein Grundrissschema mit den Namen der verschiedenen Gebäudeteile [Endnote 11].
Die bauliche und personelle Struktur des sehr großen Gehöfts Anyenangdu Yeri sowie seine Grundrissveränderungen von 1984 bis 1997 (Fig. 14.2 bis 14.6) wurden bereits ausführlich dargestellt (Kröger 2001: 786-863).

Grundriss des sehr großen Gehöfts Anyenangdu Yeri in Wiaga-Badomsa (aus Kröger 2001: 823)

In der Nähe eines Marktplatzes wird die Besiedlung gewöhnlich dichter. Hier sieht man auch häufiger Giebeldachhäuser mit rechteckigem Grundriss (z.B. in Sandema,Wiaga, Fumbisi u.a.), die in ihrer Anlage wohl auf europäischen Einfluss zurückgehen. Es wohnen hier nicht nur Bulsa-Händler und -Handwerker, sondern mitunter (z.B. in Sandema) auch Nigerianer (“Lagosians”), Mossi und Kantussi. Europäische Siedlungsformen sind noch sehr selten.
Die Zahl der modernen Bungalows hat sich seit 1974 stark vergrößert. Man findet sie besonders an den Ausfahrtstraßen größerer Orte (z.B. Sandema, Wiaga, Fumbisi). Während mir zu Beginn meiner Forschungstätigkeit (1973) in Wiaga nur ein einziges modernes Mehrstockwohnhaus bekannt war, wurden später mehrere Verwaltungsgebäude und Schulen in allen Teilen des Bulsalandes erbaut. In Kanjaga entstand 2017 das dreistöckige Gebäude einer Senior High School.
In Wiaga befindet sich (seit 1927) das Zentrum der katholischen Mission mit einer großen Rundkirche und mehreren Wohn- und Wirtschaftsgebäuden.  2005 hatte die katholische Kirche im Bulsaland zwei Pfarreien (Wiaga und Fumbisi) und acht Außenstationen (outstations with chapels). Später wurden weitere Pfarreien (z.B. Sandema) gegründet [Endnote 11a]. Von Sandema nahm die presbyterianische Mission (1952) ihren Ausgang. Im östlichen Teil Sandemas steht ihre Kirche mit einigen Nebengebäuden.

Als profane Gebäuden solider Bauart können die Rasthäuser (resthouses) und Stationen von Tierärzten und Landwirtschaftsexperten, die Gebäude der Distriktsverwaltung in Sandema und die Schulen genannt werden {9}.

 

2. DIE SOZIALE UND POLITISCHE STRUKTUR

Die Bulsa leben in einer segmentären, patrilinearen Gesellschaft mit virilokaler Heiratsordnung. Das System der Lineage und Lineage-Segmente hat große Ähnlichkeit mit dem von M. Fortes [Endnote 12], für die Tallensi beschriebenen. Das genealogische Wissen scheint jedoch bei den Bulsa größer zu sein, denn fast alle lebenden Nachkommen des vor Jahrhunderten aus dem Mamprusi-Lande eingewanderten Urahnen Atuga können (eventuell mit Hilfe eines kundigen Verwandten) ihre Ahnenreihe auf diesen Mann zurückführen. Die nicht-exogame maximal lineage der Nachkommen Atugas zerfällt in größere und kleinere Lineage-Segmente mit verschiedenen Funktionen und Bedeutungen. Die Nachkommen der vier Söhne Atugas leben in vier zentralen Bulsa Ortschaften (tengsa, Sing. teng) [Endnote 13], die wiederum in zusammen etwa 75 auf bestimmte Gebiete lokalisierbare Klansektionen (Buli: diina, Sing. dok, englisch village, section, division) zerfallen, deren Begründer, soweit es sich nicht um “Fremdlinge” oder “Ureinwohner” handelt, Söhne, Enkel oder Urenkel der vier Atugasöhne sein können. In meinem Aufsatz “Who was this Atuga?” (Kröger 2013: 69-88) äußere ich die Vermutung, dass Atuga und seine Familie wohl unter dem Mamprusi König Na Atabia (1760-1775?) Nalerigu verlassen hat, um im Bulsaland zu siedeln (Ibd. S. 77).
Die Klansektionen sind häufig exogame Einheiten (vgl. Kap. VII,1; {S. 241 f.}) und stehen heute politisch unter einem Unterhäuptling (kanbon-naab, englisch headman oder sub-chief), der seine Anweisungen von einem der zwölf Bulsa-Häuptlinge oder direkt vom Oberhäuptling, dem Sandemnaab, erhält13a.
Innerhalb einer Klansektion treten verschieden große Lineage-Segmente, je nach der gemeinsam zu vollziehenden Handlung, in Aktion [Endnote 14]. Übergangsriten sind in erster Linie eine Angelegenheit der Hausgemeinschaft (Buli: yeri oder yeni dema; M. Fortes [Endnote 15] und J. Goody: domestic family; B. Grindal [Endnote 15a]: domestic household). Daher soll diese soziale Gruppe (es handelt sich nicht immer um ein Lineagesegment) hier näher beleuchtet werden, zumal wesentliche Unterschiede zu den Tallensi, LoWiili u.a. zu bestehen scheinen.
M.Fortes [Endnote 16] untersuchte bei den Tallensi ein Sample von 61 domestic families und gliederte sie dann in folgende Untergruppen {10}:

Typ A [Endnote 17]: elementary families (Mann, seine Frau oder Frauen, seine Kinder und eventuell noch seine Mutter),
Typ B: Familien, in denen das Oberhaupt der Vater der anderen männlichen Erwachsenen ist,
Typ C: Familien, in denen das Oberhaupt der ältere Bruder von einem oder mehreren der männlichen Erwachsenen ist,
Typ D: Familien, in denen das Oberhaupt der Großvater der anderen männlichen Erwachsenen ist.

J. Goody [Endnote 18] wendet das gleiche Einteilungsschema auf ein Sample von 31 domestic families in Tʃaa an. Das Ergebnis soll hier mit den Zahlen von M. Fortes und mit den Daten einer von mir untersuchten Einheit (Sandema-Kalijiisa-Yongsa) von 20 domestic families tabellarisch verglichen werden [Endnote 19].

{11} Geht man davon aus, dass M. Fortes und J. Goody in ihren Definitionen der Wohnfamilientypen unter fathers, brothers usw. nicht klassifikatorische Väter und Brüder verstehen, so lässt sich feststellen, dass 50 % der Bulsa domestic families sich nicht in das Schema von Fortes und Goody einordnen lassen, weil sie viel komplexere Strukturen aufweisen. M. Fortes sagt von den Tallensi [Endnote 20]:

All the men of a joint family [Endnote 21] are therefore related to one another through a common father or grandfather or, infrequently, great grandfather.

Dies trifft, wie oben schon angedeutet, für die Bulsa nicht zu. Einige Darstellungen von genealogischen Strukturen für die in der Tabelle unter “andere Struktur” aufgeführten domestic families sollen dies zeigen:

AMOANUNG-YERI (KALIJIISA-YONGSA) [Endnote 22]
(ausgefüllte Symbole: lebende Mitglieder der domestic family, YN: yeri-nyono, Hausherr, Familienoberhaupt)

Namen zur genealogischen Übersicht und zu den Lageplänen

(Gleiche Nummern wie Kap. V,3d; {S.184}
7. Amobana, 8. Ajiak, 9. Asiadi, 10. Anyaribe, 11. Ayomo, 12. Amoanung (Erbauer des Gehöfts Amaonung Yeri), 13. Ateng, 14. Akajoluk, 15. Akonlie, 16. Awarikaro, 17. Akamaboro, 18. Awaabil, 19. ? 20. Anyalape, 21. Achimalie, 22. Angang, 23. Asinieng, 24. Abalansa, 25. Afankunlie, 26. Adocta, 27. Azonglie, 28. Apatanyin, 29. Abamagsimi, 30. Abenab, 31. Asagi, 32. Abankunlie, 33. Akankpewen, 34. Apogma, 35. Afenab, 36. (aus Siniensi), 37. Asiensalie, 38. Kofi, 39. Afua, 40. Talata, 41. Kind noch ohne Namen, 42. Baba, 43. Comfort, 44. Alice, 45. Timothy, 46. Mary, 47. Azangbiok, 48. Awatie, 49. Martin Assibi, 50. Kwabena, 51. Angawomi, 52. Assibilie, 53. Kwabena, 54. Lariba, 55. Aguare, 56. Talata, 57. Achipagrik, 58. Aghana, 59. Anamoanung (Anamuning), 60. Akuruma, 61. ? 62. ? 63. Adocta (in Siniensi)

{12} Wie das Beispiel zeigt, liegt der gemeinsame Ahnherr der älteren männlichen Erwachsenen des Hauses vier Generationen zurück. Ein noch komplexeres Bild ergibt sich bei den Hausgemeinschaften von Anagba-yeri (A; Symbole umrandet) und Agbedem-yeri (B; Symbole ausgefüllt):

Die Person a lebt in der Wohngemeinschaft B, obwohl sie zur Familie A in einem viel näheren verwandtschaftlichen Verhältnis steht. Der yeri-nyono (Hausherr) von B müsste a “Vater” (ko) nennen, da a zu einer älteren Generation gehört; a kann jedoch nie in B yeri-nyono werden, sondern nur in A; a opfert jedoch seinem Vater b im Hause der Familie B, bei deren Ahnenschreinen (wen-bogluta, Sing. wen-bogluk) sich auch der wen-bogluk von b befindet.
Außerhalb der hier gewählten Untersuchungseinheit Yongsa ließen sich genealogisch noch komplexere Hausgemeinschaften aufzeichnen. In manchen Fällen ist den Hausbewohnern angeblich nicht mehr bekannt, wie sie miteinander verwandt sind. Mitunter mag es sich um Nachkommen von Fremdlingen oder Sklaven handeln, die ganz in die Hausgemeinschaft aufgenommen wurden. Haben diese Gruppen sich auch im Laufe der Zeit eine große Selbständigkeit auf wirtschaftlichem Gebiete angeeignet (sie dürfen mitunter eigene Rinder besitzen), so ist der Hausherr doch in ritueller Hinsicht allein für das Wohl des Hauses verantwortlich. Wie die folgenden Darstellungen der Bulsa Übergangsriten zeigen, spielt er bei diesen Riten gewöhnlich eine größere Rolle als etwa der Vater (genitor) der Person, an der die Riten vollzogen werden {13}.
Die politische Struktur des Bulsalandes hat sich seit 1974 stark verändert. Während dieses zur Zeit meines ersten Forschungsaufenthaltes (1973-74) noch aus einem Distrikt mit der Verwaltungshauptstadt Sandema und zwölf Häuptlingstümer unter dem Paramount Chief Azantilow, dem Sandemnaab, bestand, wurde das Gebiet am 29.6.2012 in zwei Distrikte geteilt: dem Bulsa North mit Sandema und dem Bulsa South District mit Fumbisi als Hauptstadt (siehe oben Karte 2021). Die Stellung des Paramount Chiefs wurde hiervon nicht betroffen, bis 2018 mehrere “paramountcies” geschaffen wurden: Fumbisi, Kanjaga, Wiaga, Siniensi und Gbedema.

 

3. ETHNOGRAPHISCHE LITERATUR

a) Bulsa
Ethnographische Angaben über die Bulsa finden sich in älteren Werken, die auf Feldforschungen beruhen, nur vereinzelt. Gewöhnlich erscheinen nur einige spärliche Bemerkungen in Büchern, die ethnische Gruppen einer viel größeren Untersuchungseinheit beschreiben [Endnote 23]. Sehr gering ist auch die Ausbeute, wenn man diese Literaturstellen auf Darstellungen von Übergangsriten hin untersucht.
Schon Binger [Endnote 24] machte 1892 eine kurze Bemerkung über die Bulsa Stammesnarben, auf die später noch einmal eingegangen werden soll.
In einem Kapitel über die Bouras, die auch nach R. Schott [Endnote 25] und K. Dittmer [Endnote 26] wohl mit den Bulsa gleichgesetzt werden können, bringt L. Tauxier [Endnote 27] einige Angaben über die sozialen Verhältnisse und die Religion der “Bouras”, lehnt sich aber in seiner Darstellung stark an die vorausgehende Beschreibung der Nankanas an.
L.Tauxier behauptet, dass es bei den “Bouras” die Einrichtung des Brautpreises gibt, während A.W. Cardinall [Endnote 28] einige Jahre später feststellt, dass die Kasena und Bulsa keinen Brautpreis kennen. Die Aussage Cardinalls stimmt mit den von mir gemachten Beobachtungen überein, wenn man nicht die kleinen Geschenke an die Eltern der Braut als Brautpreis bezeichnen will. An diese Geschenke denkt Tauxier jedoch nicht, denn er macht konkrete Angaben über den Brautpreis, zu dem noch die Geschenke an die Eltern hinzugeschlagen werden müssen (S. 281f.):

Chez les Bouras la dot est de 10.000 cauris payés au moment du mariage, plus une prime à la famille, au fur et à mesure des enfants que celle ci vous donne. Ainsi pour un premier enfant on donne deux bœufs, pour un second on ajoute un bœuf, pour un troisieme on ajoute encore un bœuf, mais on ne va jamais {14}au delà de quatre bœufs – C’est le maximum. Du moins est-ce ainsi que cela se pratique à Sinésé. A Bationsé, la dot est fixe et non variable: on donne 10.000 cauris et deux vaches [Endnote 29]…

Bei einer Ehescheidung wird nach Tauxier (S. 284) der Brautpreis [Endnote 30] niemals zurückgefordert, selbst dann nicht, wenn die Frau ihrem Mann keine Kinder geboren hat. Folgende Begründung wird gegeben (S. 285):

Du reste, les maris ne se risquent pas à la réclamer, car, s’ils le faisaient, me dit un de mes interlocuteurs, ils ne pourraient jamais trouver dans le village une autre femme.

Die Begründung scheint mir nicht ganz stichhaltig zu sein, besonders wenn man unter village eine Klansektion (englisch village) versteht, denn welcher Ehemann würde nicht auf die Heiratsmöglichkeit in einer einzigen von über hundert Bulsa-Sektionen verzichten, wenn er dadurch einen stattlichen Brautpreis zurückbekäme? Eine ähnliche wie die oben abgegebene Erklärung haben mir jedoch einige junge Bulsa für die Situation der Werbung gegeben. Es sei oft vorteilhafter, nach einer erfolglosen Werbung die kleinen Werbegeschenke (Münzen, Salz, Kolanüsse usw.) nicht zurückzufordern, da man sonst aus der Sektion nur schwerlich ein anderes Mädchen heiraten könne.
Andere Aussagen Tauxiers, die für die Themenstellung dieser Arbeit relevant wären, wie z.B. der “Haushalt zu dritt” oder die Einstellung der “Bouras” zum Ehebruch und zum vorehelichen Sexualverkehr, sollen hier nicht diskutiert werden, da sich Tauxier auf den Ort Savélou beruft und dieser Ort wohl nicht zum Bulsa-Gebiet gehört, nach R. Schott [Endnote 31] möglicherweise mit der Dagomba-Stadt Savelugu identisch ist.
Im Jahre 1932 erschien die erste Auflage von R.S. Rattrays zweibändigem Werk The Tribes of the Ashanti Hinterland, in dem der Verfasser auf gut fünf Seiten (S. 398 – 403) die “Geschichte, Stammes- und Klanorganisation” (History, Tribal and Clan Organization) der Bulsa behandelt. Auf S. 400 bringt er auch einige Bemerkungen und eine Zeichnung über die Bulsa Stammesnarben (tribal marks). Leider ist ihm dabei wohl der Fehler unterlaufen, die kleineren Narben, die einem Kind nach vorausgegangenen Fehlgeburten (vgl. Kap. IV,5 {S. 128ff.} der vorliegenden Arbeit) {15} gegeben werden, als Teil der Stammesnarben aufzufassen. Vor allem in Kanjaga, dem Heimatort von Rattrays Informanten, werden die kleinen biakasung (Fehlgeburts)-Narben und die Stammesnarben in sich kreuzender Form geschnitten, wie sie in Rattrays Skizze dargestellt ist. Es war dem Verfasser jedoch schon aufgefallen, dass die langen Schnitte (long cuts) auch ohne die kleineren Querschnitte vorkommen und umgekehrt. Dass diese Narben die Funktion der Stammesidentifizierung haben sollen, scheint ihm (mit Recht) zweifelhaft. Es ist mir nicht bekannt, ob Rattray das 1924 erschienene Werk von C.H. Armitage über The Tribal Markings and Marks of Adornment of the Natives of the Northern Territories of the Gold Coast kannte, in dem der Autor schon Angaben über Bulsa-Narben nach Fehlgeburten macht.
Auf S. 403 seines Werkes erwähnt Rattray die weibliche Beschneidung, die er incision nennt, und auch das heute fast ausgestorbene Anfeilen der Schneidezähne, das nach meinen Erkundigungen in früherer Zeit besonders in Kanjaga üblich war. Im Schlusssatz (S. 430) stellt Rattray über die Bulsa fest:

Their other customs, like themselves, appear to be a mixture of Nankanse and Kasena-Isala practices. The former have been fully dealt with elsewhere and I will leave an investigation of the latter until I come to examine these rites in their purer state practised by these Kasen- or Isal-speaking tribes themselves.

Meines Erachtens kann selbst heute noch nicht mit Sicherheit gesagt werden, welche Ethnie Nordghanas einer anderen Ethnie Riten und Bräuche übermittelt hat oder welches Erscheinungsbild als “rein” oder als “Mischung” zu betrachten ist. Solange nicht ein kulturhistorischer Einfluss der Nankanse und Kasena-Isala auf die Bulsa nachgewiesen ist, wäre es genauso gut denkbar, dass die Bulsa ihre Nachbarstämme beeinflusst haben oder, was mir wahrscheinlicher vorkommt, dass alle erwähnten Ethnien sich von einem gemeinsamen Fundament aus kulturell und rituell weiterentwickelt haben {16}.
Nach Rattrays Werk folgen Jahrzehnte, in denen nichts Wesentliches über die Bulsa erscheint, so dass K. Dittmer [Endnote 32] 1959 die Bulsa in eine Liste von Stämmen einreiht, die bisher nur unzureichend erforscht wurden.
1970 erscheint das erste Werk, das sich ausschließlich mit den Bulsa befasst: R. Schott: Aus Leben und Dichtung eines westafrikanischen Bauernvolkes [Endnote 33], und in den darauffolgenden Jahren erscheinen vom gleichen Verfasser weitere Aufsätze über die Bulsa (s. Bibliografie). Für meine Arbeit war das oben genannte Werk von größerer Bedeutung. Auch wenn es nur wenig Material über Übergansriten enthält, liefern doch besonders die Kapitel III (Teng: Die Erde im Leben der Bulsa) und IV (Wen: Himmel und Ahnen im Leben der Bulsa) eine gute Einführung in das religiöse Leben der Bulsa, die dieser Arbeit zunutze kam. Wichtiger aber noch für die Vorbereitung und Durchführung meiner Arbeit war es, dass mir unveröffentlichtes Feldforschungsmaterial R. Schotts aus den Jahren 1966/67 und 1974/75, soweit es für meine Arbeit relevant war, dankenswerterweise vom Verfasser zur Verfügung gestellt wurde und zusammen mit meinen eigenen Feldnotizen ausgewertet werden konnte.
Nach 1974 hat sich die Lage in Bezug auf primäre Literatur über die Bulsa grundlegend verändert. Es waren vor allem Mitglieder des Instituts für Ethnologie der Universität Münster (R. Schott, B. Meier, D. Blank, U. Blanc. S. Dinslage und F. Kröger), von denen in der Zeit bis 2021 etwa 170 Publikationen über die Bulsa erschienen.
Während R. Schott sich der Erzählforschung, der traditionellen Religion, rechtsethnologischen Fragen und vielen anderen Themen widmete, untersuchte Doris Blank (1981) die traditionellen Organisationsformen der Bulsa. Barbara Meier schrieb ihre Doktorarbeit über das doglientiri-Verhältnis und publizierte danach weitere Publikationen über dieses Thema. Später widmete sie sich in besonderem Maße der Migrationsforschung. Ulrike Blank schrieb ihre Magister- und Doktorarbeit über musikethnologische Themen. Franz Kröger veröffentlichte Bücher und Zeitschriften über folgende Themen: Religionsethnologie, Geschichte, materielle Kultur und afrikanische Linguistik (1992 erschien das erste Buli-English Dictionary).
Als Forscher des Afrikanischen Studienzentrum verfasste Konings mehrere Artikel über…
Mehrere Linguisten aus verschiedenen Ländern befassten sich ausgiebig mit der Buli Sprache. Britische Linguisten (z.B. Ian und Claire Gray, Todd Poulter, Robert und Nancy Schaefer, Paul Dancy) stellten die Ergebnisse ihrer Forschungen zum Buli dem GILLBT (Ghana Institute of Linguistics, Literacy and Bible Translation) zur Verfügung. Hier sollte auch erwähnt werden, dass durch die zahlreichen, meistens anonymen Veröffentlichungen durch GILLBT ein reichlicher Corpus von Schriften in der Buli Sprache entstanden ist, der nicht nur Bibelübersetzungen sondern auch Themen aus fast allen Lebensbereichen erfasste (s. Buluk 2, 2001: 34).
Zahlreiche linguistische Publikationen entstanden auch als Arbeiten von Anne Schwarz (Berlin) und George Akanlig-Paare (Legon).
In neuerer Zeit hat die Zahl der Bulsa, die über ihre eigene Kultur schreiben, zugenommen. Häufig, aber nicht immer, sind ihre Schriften unveröffentlichte Examensarbeiten, z.B. von J. Agalic, R. Apeintiik, F.A. Azognab, St. Azundem, J. Aduedem. Auszüge aus ihren Arbeiten wurden zum Teil in der Buluk Zeitschrift veröffentlicht (siehe Bibliografie).
Ein großes Eigeninteresse an der Bulsa Kultur fand auch Ausdruck in den Schriften und Materialsammlungen von James Agalic, John A. Agandin und Joseph Aduedem (siehe Bibliografie).

b) Benachbarte ethnische Gruppen
Befragt man Bulsa über die Riten benachbarter Stämme, so erhält man oft die verallgemeinernde Antwort, dass es bei “denen” so ähnlich gemacht werde wie bei den Bulsa, es gebe nur kleine Unterschiede. Dies ist nicht weiter verwunderlich, wurden doch alle Nachbarstämme mit vielen anderen schon früh einem gemeinsamen Kulturkreis zugeordnet, der allgemein der Volta-Kulturkreis genannt wird. Ein kritischer Vergleich der Bulsa-Riten mit denen benachbarter Stämme, soweit diese durch die Literatur bekannt sind, würde aber den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Hier soll vor allem auf einige wichtige ethnographische Darstellungen über ethnische Gruppen Nordghanas verwiesen werden [Endnote 35]. Wiederum führt kein Weg an den Werken von Tauxier [Endnote 36], Cardinall [Endnote 37] und Rattray [Endnote 38] vorbei. Letzterer behandelt z.B. ausführlich die wichtigsten Übergangsriten bei den Nankanse (Bd. 1, S. 130 – 214), die aber {17} auch paradigmatisch für die anderen Stämme des Aschanti Hinterlandes gelten sollen. Das Aschanti Hinterland wird also auch von Rattray in starkem Maße als kulturelle Einheit betrachtet.
Herausragend unter den Ethnographien über Ethnien Nordghanas sind die Darstellungen von M. Fortes über die Tallensi, vor allem die beiden Hauptwerke The Dynamics of Clanship among the Tallensi (1945) und The Web of Kinship among the Tallensi (1949). Da Fortes vor allem Beziehungen zwischen verschiedenen Lineage-Segmenten, aber auch zwischen exogamen Klanen behandelt, ist es nicht verwunderlich, dass von den für meine Arbeit relevanten Themen vor allem Heiratsmöglichkeiten und -verbote, Werbung, Ehescheidung, Wiederheirat usw. einen breiten Raum einnehmen, aber auch Themen wie “Zeugungstheorie” (Theory of Conception), Schwangerschaft, Geburt, Gesichtsnarben und Exzision kommen zur Sprache.
Über das persönliche Yin (Buli: wen) schreibt Fortes [Endnote 39], dass dieses auch bei den Tallensi einen schicksalsbestimmenden Einfluss auf den Menschen ausübt. Generationskonflikte lassen sich aus dem Antagonismus zwischen dem Yin des Vaters und Sohnes erklären. Während diese Aussagen auch für den wen-Begriff der Bulsa zutreffen, stellt Fortes jedoch für die Tallensi fest, dass das Yin schon vor der Geburt den menschlichen Schicksalsweg festlegen kann [Endnote 40] und dass bestimmte Ahnen sich einem jungen Mann nach einem Unglücksfall oder einer Krankheit als sein Yin offenbaren können (… his ancestors so and so, and so and so, are thus revealing themselves as his Yin [Endnote 41]). Der junge Mann baut hiernach einen Schrein für die betreffenden Ahnen, denen er seitdem Opfer darbringt. Eine solche Verbindung zwischen Ahnen und persönlichem wen gibt es beiden Bulsa nicht.
Für die ethnischen Gruppen im Nordwesten des heutigen Ghana erschienen in neuerer Zeit einige Werke von J. Goody [Endnote 42], auf die an anderer Stelle dieser Arbeit noch näher eingegangen wird [Endnote 43].
In K. Dittmers Monographie Die sakralen Häuptlinge der Gurunsi im Obervolta-Gebiet (Westafrika) [Endnote 44] interessieren in unserem Zusammenhang vor allem seine Ausführungen über das kwara der Kasena und Nuna, das er so definiert (S. 139): {18}

Ein kwara ist ein Fetisch, der seinen Besitzer zu einem bestimmten Amt bzw. Beruf befähigt und seiner Tätigkeit Erfolg und Schutz gewährt.

Neben Haus-kwara und Ackerbau-kwara besitzt fast jedes Haus auch Kinder-kwara. Über ihre Errichtung schreibt er (S.138):

Am dritten bzw. vierten Tag nach der Geburt eines Knaben oder Mädchens erhält das Kind vom pater familias seinen Namen und wird mit einem Huhnopfer dem Schutz des Hauskwaras anempfohlen. Zugleich wird eine etwa faustgroße Kugel aus heiliger Erde vom Erdaltar, mit Mehl von kleinkörniger Hirse gemischt, geformt, das ist das Kinder-kwara. Es wird mit Hirsewasser, einem Huhn und einem größeren Tier – etwa einem Schaf – beopfert und erst neben das Neugeborene gelegt.

Eine ähnliche Rite, die in manchem an die wen-piirika erinnert (Kap.V,2  {S. 146 ff.}), existiert bei den Bulsa nicht.
Nachdem auch die Isala (Sisala) Nordghanas lange Zeit zu den wenig erforschten Stämmen zählten [Endnote 45], erschienen in den letzten Jahren gleich zwei Monographien. In der ersten fasst E.L. Mendonsa [Endnote 46] das bisher vorhandene Material über die Isala (Tauxier, Rattray, Cardinall, Zwernemann u.a.) zusammen und analysiert es, die zweite Arbeit von B. Grindal [Endnote 47] beruht auf eigenen Feldforschungen des Verfassers. Auch Übergangsriten sind in Grindals Forschungsbereich eingeschlossen. Neben manchen Ähnlichkeiten mit Bulsa Praktiken (z.B. Geheimhaltung der Schwangerschaft bis zum Wasserschütten) enthalten die Isala-Riten doch eine ganze Reihe von Einzelelementen, die bei den Bulsa unbekannt sind (z.B. ein Ringkampf zwischen je einem Jungen aus dem Hause des Gatten und der Gattin, nachdem die Schwangerschaft bekanntgegeben wurde).
Hingegen weist eine neuere Monographie über die Dagomba, Growing up in Dagbon (1974) von Chr. Oppong, in ihrer Darstellung von Übergangsstadien im Leben des Dagomba-Kindes und den damit verbundenen Riten (S. 33-37) stellenweise starke Ähnlichkeiten mit {19} Riten und Auffassungen der Bulsa auf, z.B. in der Zeugungstheorie (körperliche Abstammung des Kindes nur vom Vater), Geheimhaltung der Schwangerschaft, Bekanntmachung der Schwangerschaft durch eine Schwester des Gatten (aber nicht durch Wasserschütten) und in der vorläufigen Benennung eines neugeborenen Kindes (Saando oder Saanpaga = Fremdling; Buli: Asampan oder Ajampan; vgl. Buli nichano= Fremdling). Größere Abweichungen der Dagomba-Riten von denen anderer benachbarter Stämme können mitunter durch islamischen Einfluss erklärt werden, so z.B. die islamische Namensgebung mit Zirkumzision des männlichen Kindes, die zuweilen nach einer traditionellen Namensgebung erfolgt (Oppong, S. 36). Bei dieser kann ein Wahrsager den Ahnen herausfinden, der im Kind wiedergeboren wurde und zu dem das Kind während seines ganzen Lebens in einem besonders engen Verhältnis steht (vgl. Schutzgeistfunktion eines Ahnen bei den Bulsa, Kap. IIIA,3,d; {S. 79ff.}).
Über die Kusasi im äußersten Nordosten Ghanas erschien nach mehreren kürzeren Ausführungen in Werken mit umfassenderen Fragestellungen [Endnote 48] und einer Arbeit von J.K. Syme [Endnote 49], die außer einigen Bemerkungen über Tod und Bestattungen keine Übergangsriten behandelt, im Jahre 1967 eine Monographie von E. Haaf [Endnote 50], die sich zwar als medizinisch-ethnologische Studie bezeichnet, aber auch Riten und religiöse Vorstellungen der Kusasi in einem so präzisen Maße abhandelt, dass ein Vergleich mit den Riten der Bulsa durchgeführt werden kann. In folgenden Punkten herrscht z.B. eine sehr große oder völlige Übereinstimmung mit den religiösen Vorstellungen, Handlungsweisen und Riten der Bulsa:

1. Eine Schwangere darf keinen Honig essen.
2. Die Geburt wird durch Betäubungsmittel erschwert.
3. Bei einer schweren Geburt oder einer Fehlgeburt liegt oft eine Schuld der Gebärenden vor.
4. Die Nachgeburt wird zwischen zwei zerbrochenen Töpfen beim Gehöft begraben.
5. Das männliche (weibliche) Kind wird nach 3 (4) Tagen aus dem Haus (Buli dok) geführt.
6. Bei vorausgehenden Fehlgeburten werden am Kind Verstümmelungen vorgenommen {20}.
7. Kleinkinder können wiedergeboren werden.
8. Bei Neumond geborenen Kindern hängt man einen Metallmond um.
9. Ahnen werden bei den Namensgebungen Schutzgeister der Kinder.
10. Die Hauptkriterien, nach denen Namen gegeben werden, sind bei beiden Ethnien ähnlich.
11. Wochentagsnamen werden besonders für Mädchen gewählt.
12. Ein Kind, das nach mehreren Fehlgeburten geboren wird, erhält den Namen “Sklave” und man schneidet ihm “Sklavennarben”, um die bösen Geister zu täuschen.
13. Bei Mädchen (gewöhnlich im pubertären oder vorpubertären Alter) wird die Exzision (Klitoridektomie; bei den Kusasi auch mit Sicherheit Beschneidung der kleinen Labien) ausgeübt.
14. Es gibt keine traditionelle Jungenbeschneidung (Zirkumzision).
15. Es gibt keine Initiationsfeiern für Jugendliche.
16. Es gibt zwei Arten von Hochzeitsbräuchen: Entführung des Mädchens und Absprache mit den Eltern (letztere wird von den Bulsa besonders als Brauch vergangener Zeit angesehen).

Nach all diesen Übereinstimmungen können nur wenige Abweichungen in den Riten der beiden Ethnien erwähnt werden; allerdings kann nie mit Sicherheit angenommen werden, dass es eine bestimmte Rite bei den Kusasi nicht gibt, wenn sie in Haafs medizinisch-ethnologischen Studie nicht erwähnt wird.

1. Es scheint bei den Kusasi keine “Verkündigung der Schwangerschaft” mit Wasserschütten zu geben.
2. Nach der Geburt scheint man nicht “Asche zu blasen”, sondern Asche wird zusammen mit der Nabelschnur in einen Bach geworfen.
3. Nach einer Fehlgeburt kann bei den Kusasi ein Fremdling eine Art “Patenstellung” für ein Kind übernehmen. Das Kind wird nach dem Stamm des Fremden benannt.
4. Die Kusasi kennen einen echten Brautpreis (z.B. vier Kühe und andere Zahlungen).
5. Nach einem Ehebruch schlagen sich die Schuldigen nicht mit einem Huhn, wie es bei den Bulsa Brauch ist, sondern man tötet nur ein Huhn, um die Erde wieder zu versöhnen {21}.

Die größten Unterschiede scheint es überraschenderweise in der Auffassung der Begriffe wen (Kusal: win; Haaf, S. 23: … eine zweite, unsterbliche, vorwiegend geistige Existenz) und chiik (Kusal: siik, Haaf, S. 29:.. ein vitales Prinzip, das eng mit dem Schicksal des Körpers verbunden ist) zu geben. Nach der Vorstellung der Kusasi kommt das win schon vor der Geburt vom Himmel herab, nachdem es sich von Gott (widnam) sein Lebensschicksal selbst wählen durfte [Endnote 51]. Das (Haaf: “der”) win wird von einem Mann (z.B. durch Trinken von Wasser) aufgenommen und wird von diesem im Geschlechtsakt an die Frau und von dieser an das Kind weitergegeben. Erst im “heiratsfähigen Alter” (S. 24) errichtet ein junger Mann seinem win einen bagr(i) (“Altar”; Buli bogluk), indem er etwas Erde in einem Horn von der Stelle holt, wo das win vom Himmel zuerst herabgekommen ist. Das Horn wird auf den errichteten Lehmaltar gelegt. Ein wen-Stein (Buli tintankori, Pl. tintankoa) wird von E. Haaf in diesem Zusammenhang nicht erwähnt {22}.
Auf alle Publikationen nach 1978 über Ethnien Nordghanas einzugehen, würden den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Ich möchte hier nur auf die Arbeiten einiger Autoren erwähnen, die außer den genannten für mich sehr nützlich waren, allerdings sich meistens weniger mit Übergangsriten befassen: J.Allman/J. Parker (Tallensi), S. Dinslage (Beschneidungen), S. Drucker-Brown (Mamprusi), B. Grindal (Sisaala), C. Lentz (NW-Ghana), E. Mendonsa (Sisaala), V. Riehl (Tallensi).

 

4. ABGRENZUNG UND DISKUSSION DER THEMENSTELLUNG

Der Begriff Übergangsriten (frz. rites de passage; engl. rites of passage; rites of transition; rites of a life crisis) wird in der ethnographischen Literatur recht häufig, aber oft kritiklos und mit unterschiedlichen Bedeutungsinhalten gebraucht.
Wenn im Wörterbuch der Religionen [Endnote 52] die Rites de Passage (in einem engeren Sinne) als Reinigungsbräuche bezeichnet werden, so entspricht diese Auslegung wohl nicht dem allgemein üblichen Sprachgebrauch. Im weiteren Sinne sind Rites de passage nach der Definition des Wörterbuchs “Übergangsriten wie die Jugendweihen und Initiationsriten oder sonstige Weihen von entscheidenden Lebensabschnitten (Hochzeit)”. Auch die Bezeichnung Weihe trifft m.E. nur sehr ungenau die mit einzelnen Lebensabschnitten verbundenen Riten, und als weitere Beispiele für Übergangsriten hätte man in der Definition wenigstens noch Geburtsriten und Bestattungsriten erwartet.
Bei den meisten Autoren scheint Einmütigkeit darüber zu bestehen, dass die Riten, die an entscheidenden Lebensabschnitten den Aufstieg in eine andere Position begleiten, als Übergangsriten bezeichnet werden können. In der Frage, welche Riten nun aber genau dieser Kategorie zuzuschreiben sind, gehen die Meinungen auseinander. So schreibt etwa P. Sarpong [Endnote 53]:

All over Africa, and, in fact, all over the world, significant rituals and ceremonies are, with varying degrees of intensity and seriousness, performed at the three major turning points of a man’s life. In the so-called primitive societies, these rites are collectively termed Rites de Passage (Rites of passage from one stage to another).
The crucial turning points are generally held to be:
(1) the time a person enters the world through birth,
(2) when he comes of age, and enters the world of adults,
(3) when, through death, he departs from this world and enters the world of his forebears.

{23} Auch in anderen Darstellungen, z.B. bei E. Dammann [Endnote 54], werden unter Übergangsriten oft die Riten der Übergangsstadien Geburt, Initiation und Tod verstanden. G. Parrinder [Endnote 55] nennt als Übergangsriten “… birth, adolescence, marriage and death, and for some people ordination as well…” Auch diese Ausfüllung des Begriffs “Übergangsriten” scheint mir für die Behandlung meiner Themenstellung noch etwas zu eng zu sein, zumal A. van Gennep [Endnote 56], der den Begriff rites de passage geprägt hat, ihn in einem weiteren Rahmen gesehen hat, denn Übergangsriten werden von ihm alle Riten genannt, die Krisen im Leben des Menschen begleiten und die drei Phasen Trennung (separation), Übergang (marge) und Neueinfügung (agrégation) erkennen lassen. Als typisches Situationen, die von Übergangsriten begleitet sein können, nennt van Gennep z.B.: Geburt, Adoption, Initiation, Übergang in eine andere Altersklasse, Verlobung, Heirat, Schwangerschaft und Bestattung, wenn er auch betont, dass nicht alle Geburts-, Initiations-, Heiratsriten usw. nur Übergangsriten sind [Endnote 57]:

Aussi les cérémonies du marriage comportent-elles des rites de fécondation; celles de la naissance, des rites de protection et de prédiction; celles des funérailles, des rites de défense; celles de l’initiation, des rites de propitiation; celles de l’ordination, des rites d’appropriation par la divinité, etc.

Andererseits können auch Riten an der Türschwelle, Begrüßungsriten, Riten bei einer Flussüberquerung oder bei Hausgründungen Übergangsriten enthalten [Endnote 58]. Sollten all diese Riten in dieser Arbeit mit behandelt werden, so hätte das Aufgabenfeld beträchtlich erweitert werden müssen, denn bei den Bulsa sind einige der erwähnten Riten sehr ausgeprägt und von großer Bedeutung.
Die obligatorische, ausgedehnte und in vielen Einzelheiten festgelegte Begrüßung eines Gastes vor dem Gehöft kann nur schwerlich als reine Höflichkeitsformel angesehen werden, und die Riten bei der Begründung eines neuen Gehöfts ähneln in mancher Beziehung sehr stark den Riten, wie sei z.B. bei Geburt und Beschneidung ausgeführt werden (vgl. Schluss 3; {S. 326f.}), so dass man aus dieser Sicht A. van Gennep zustimmen muss {24}.
Ausgehend von A. van Genneps Auffassung müssten sogar noch andere, von ihm nicht ausdrücklich erwähnte Beispiele für Übergangsriten in den Themenkreis dieser Arbeit aufgenommen werden, allem voran wohl die Riten, die mit der ersten Reise eines Bulo in den Süden Ghanas verbunden sind, zumal sie die drei Phasen Trennung, Übergang und Wiedereinfügung in klarer Form zeigen. Mit anderen “Übergangsriten” (Riten bei der Geburt, Beschneidung, Gehöftgründung, Schlangenbiss) haben sie vor allem das Ritual der gaasika gemein (Vgl. Kap. II,6 und Kap. VI,4c). Die gaasika-Riten wären von van Gennep vielleicht als typische Wiedereinfügungsriten bezeichnet worden, da sie die rituelle Sonderstellung eines Menschen mit allen Verboten und Geboten aufheben. Der aus Südghana heimkehrende Bulo wird nach vollzogenem Ritus in einem anderen sozialen Zusammenhang gesehen: Er gehört jetzt zur Gruppe derer, die außerhalb des Elternhauses in einer “feindlichen” Umgebung Erfahrungen gesammelt haben. Die Exklusivität dieser Gruppe zeigt sich z.B. darin, dass nur “Südwanderer” an dem gaasika-Essen eines von der ersten Südfahrt heimgekehrten Stammesangehörigen teilnehmen können.
Wenn in dieser Arbeit weder die engere (S. 22 f.) noch die weitere Festlegung des Begriffes “Übergangsriten” (durch van Gennep) als Richtlinie für die Auswahl der hier zu beschreibenden Riten gewählt wurde, so geschah dies nicht, um eine weitere Definition von Übergangsriten den erwähnten entgegenzustellen. Andere Gründe waren maßgebend.
Ausgangspunkt für die Arbeit sollte nicht eine Begriffsbestimmung sein, sondern der junge Mensch, der in der Gemeinschaft seiner Stammesbrüder aufwächst und in bestimmten Lebensabschnitten oder -krisen die traditionellen Riten seines Stammes an sich erlebt und sich mit ihnen auseinander setzen muss. Aus diesen Gründen wurde es auch hier angebracht gehalten, häufiger junge Bulsa mit modernen Einstellungen in Zitaten zu Worte kommen zu lassen. Es wird verständlich sein, dass in diesem Zusammenhang Bestattungsriten weniger ergiebig sind, da die rituelle Hauptfigur eine rein passive Rolle einnimmt und von ihr keine persönlichen Einstellungen mehr geäußert werden können. Ein zweiter Grund sprach dafür, Bestattungsriten in dieser Arbeit nicht zu beschreiben {25}.
Die mehrtägigen Totengedenkfeiern sind bei den Bulsa von einer solchen Komplexität, dass ihre Beschreibung den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, zumal wenn Jenseitsvorstellungen, Trauerbräuche, Erbschaften usw. mitberücksichtigt werden sollen, wie J. Goody dies in seiner 452 Seiten starken Monographie über die Bestattungsbräuche der LoDagaa getan hat [Endnote 59].
Ebenfalls unbehandelt bleiben sollen hier Übergangsriten, die nur mit bestimmten Berufsständen verbunden sind, wie z.B. die Riten, die ausgeübt werden, wenn ein Wahrsager (baano), ein Medizinmann (tiim-nyono), ein Spezialist für Feengeburten (kikiruk paro) oder für Zwillingsgeburten (yibsa tebro) in sein Amt eingeführt wird.
Andererseits sind jedoch auch solche Handlungen beschrieben worden, die deutlich den Übergang einer Person in eine andere soziale Position begleiten, aber keinen klaren religiösen Bezug (mehr?) erkennen lassen, wie es der Gebrauch des Wortes Rite eigentlich fordert. Hierzu gehören bei den Bulsa ein Teil der Hochzeitsbräuche und die von mir in einem besonderen Kapitel behandelten Skarifizierungen. Das Schneiden der Stammesnarben bedeutet für den jungen Menschen in der traditionell eingestellten Gesellschaft der Bulsa einen wichtigen Schritt zur voll akzeptierten Erwachsenenpersönlichkeit, denn nur mit Stammesmerkmalen und nach dieser ersten Mutprobe wird er auch heute noch von vielen Stammesangehörigen als echter Bulo angesehen.
Auch G. Parrinder [Endnote 60] sieht dieses sprachliche Problem, rechnet aber auch Handlungen, die ihre religiöse Komponente verloren haben, zu den Übergangsriten, wenn er für Gebiete Afrikas schreibt: “Although marriage is a rite of Passage, going from one state to another, its religious side is not distinctive…”
Man sollte jedoch bedenken, dass es bei den Bulsa eine scharfe Trennung zwischen religiösen und profanen Handlungen nicht gibt [Endnote 61]. Dies zeigt sich besonders deutlich in sozialen und medizinischen Bereichen. Bei jeder Veränderung in der Zusammensetzung der Hausgemeinschaft (längere Besuche, Reisen, Auszüge, geplante Heiraten usw.) müssen die Ahnen informiert werden, und einer wirkungsvollen Medizin (tiim) bringt man eigenständige Opfer dar {26}.
Als ich nach 1974 diese Dissertation über die Übergangsriten abfasste, waren mir die für diese sehr bedeutsamen Werke von Victor Turner (1920-1983) noch nicht bekannt (Turner 1967 und 2005). Der britische Ethnologe, führte Feldforschungen bei den Ndembu in Sambia durch, bezog aber auch andere Ethnien und Gesellschaften von Industrienation mit ein.
In seinen erweiterten Forschungen über die Übergangsriten liegt sein Hauptinteresse auf der zweiten Phase, die von van Gennep rites de marge (übersetzt als Schwellen- oder Übergangsphase), von Turner auch liminale Phase genannt wird. Von seinen Ergebnissen über diese Phase ausgehend stellte er intensive Untersuchungen über die Gemeinschaften der im Ritual betroffenen Menschen an, zum Beispiel über die Neophyten der Initiationsrituale. Eigenschaften solcher Gruppen findet er auch in rituellen und säkularen Gemeinschaften anderer Ethnien oder Industrienationen, zum Beispiel in matrilateralen Gruppen patrilinearer Systeme, in Mönchsorden, sowie bei den Hippies und Gammlern unserer Gesellschaft. Für solche Gemeinschaften, denen er bestimmte Eigenschaften zuordnet, gebraucht er die Bezeichnung Communitas. Diese steht im Gegensatz zur Sozialstruktur einer Gesellschaft. Als typische Kennzeichen der Personen einer Communitas führt er an (2005: 123):
• Sie füllen Lücken innerhalb einer Sozialstruktur aus.
• Sie halten sich an deren Grenzen auf.
• Sie besetzen die „niedrigsten Sprossen” einer Gesellschaft.
„Communitas hat eine existenzielle Qualität; sie betrifft den ganzen Menschen… Struktur andererseits hat eine kognitive Qualität; sie ist… ein Klassifikationssystem, ein Denk- und Ordnungsmodell, mit dessen Hilfe man… das öffentliche Leben regeln kann…” (S. 124).
Der Versuch, den Communitas Begriff auf die Übergangsriten der Bulsa anzuwenden, ist mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Die Bulsa kennen keine ausgebildeten Initiationsriten mit einer Seklusion der Neophythen. Bei den Mädchenbeschneidungen, in denen es einige Bezüge zu Initiationsriten gibt, bilden die zu beschneidenden Mädchen keine Gemeinschaft. Sie reisen aus verschiedenen Dörfern zum Beschneidungsort und lernen sich untereinander nur für einige Stunden kennen. Die beschnittenen Mädchen eines Gehöfts – es sind heute nur selten mehr als zwei – wohnen, so wie ich es an einem einzigen Fall beobachten konnte, bis zur Ausheilung ihrer Wunden im Quartier der ersten Frau (Ama) des Gehöftherrn. Aber auch hier entsteht keine Gemeinschaft im Sinne einer Communitas, da sie ständig ihre eigene Familie aufsuchen und zum Teil sogar häusliche Routinearbeiten ausführen.
Bei den Totengedenkfeiern erhält die Gruppe der nahen weiblichen Verwandten des Verstorbenen einen gewissen Sonderstatus, der durch eine rote Körperbemalung und das Tragen von roten Mützen markiert wird. Eine Seklusion dieser Personen, abgesehen von den nicht bemalten Witwen, findet nicht statt. Außerdem nehmen sie (außer den Witwen) an dem geselligen Leben einer Totengedenkfeier teil. Die Kennzeichen einer Communitas treffen für sie daher auch nicht zu.
Ich glaube jedoch, dass es bei den Bulsa außerhalb der Ritualgeschehen eine Menschengruppe gibt, für die (mit einigen Einschränkungen) die Bezeichnung Communitas berechtigt ist. Es sind die Gruppen junger Hirten, die in der Regenzeit die Rinder ihrer Väter in den Busch treiben, um die mit Hirse bebauten Felder vor Viehfraß zu schützen (s. Aduedem 2020 und Kröger 1987). Als Gruppe haben sie folgende Merkmale einer Communitas.
1. Sie gehören nicht einer stärker in die traditionelle Sozialstruktur integrierten Altersgruppen an, weder den Kindern, die noch in hohem Maße unter dem Schutz der Eltern stehen noch den erwachsenen Männern, die den Lebensunterhalt ihrer Familie durch Ackerbau bestreiten. Die Hirtenjungen im Alter von etwa 9-14 Jahren sind Teil einer Übergangsphase, deren Anfang und Ende allerdings nicht durch traditionelle Riten unterstrichen wird.

Ringkampf der Hirtenjungen

2. Das Prinzip der Gleichheit aller Mitglieder wird in so weit verwirklicht, als Unterschiede im Alter, Geschlecht, Status des Vaters (z.B. als Häuptling, Elder eines großen Lineage-Segments usw.), Schulbildung oder Kenntnisse über die moderne Gesellschaft in der Hirtengruppe usw. keine Bedeutung mehr haben61a. Die Strukturierung erfolgt durch eine Methode, die in der Sozialstruktur keine Bedeutung hat, nämlich durch Ringkämpfe. Durch diese wird eine durchgehende Rangordnung ermittelt, für die der veraltete Begriff „Hackordnung” vielleicht angebrachter wäre, denn jeder Einzelne hat Befehls- und Strafgewalt gegen den unter ihm stehenden Teil der „Liste” und kann willkürliche, grausame und entwürdigende Straften, wie zum Beispiel das Trinken von Urin, verhängen. Den über ihm stehenden Mitgliedern muss er jedoch unbedingt gehorchen. Hier besteht sogar eine gewisse Ähnlichkeit zu den Neophyten einer Initiationsgruppe, die dem Vorgesetzten zu strengem Gehorsam verpflichtet sind und oft schmerzhafte Prozeduren erleiden müssen.
3. In ihrer Lebensführung greift die Hirtengruppe weitgehend auf niedere Wirtschaftsformen zurück, wie das Sammeln von Früchten und Jagd mit Stöcken oder Keulen auf Kleintiere (Ratten, Schlangen, Hasen). Auch die Kleidung entspricht diesem Lebensstil. Sie sind entweder völlig nackend oder nur mit einer zerrissenen Unterhose oder einem Short bekleidet. Mit diesen Tätigkeiten und dieser Ausstattung stehen sie auf der „niedersten Sprosse” der bestehenden Gesellschaft (Turner 2005: 123).
Die Eigenarten und Schwächen der Hirtengruppe werden auch von J. Aduedem, einem Seminaristen, der seine sechsjährige Hirtenzeit beschreibt (2020: 53), anerkannt und als eine Art Härteschule interpretiert, wenn er schreibt:

… the hardships one went through: the wrestling, the exposure to rains and thunder storms, the caning by farmers, the piercing of thorns because of the bare footing, the walking in the thick forest alone in search of a lost cow… were preparatory grounds for the shepherds in order to be able to withstand the challenges of adulthood.

4. In ihrer Lebens- und Moralauffassung weichen die Hirten stark von den Vorstellungen der strukturierten Gesellschaft ab. Neben den oben erwähnten, harten, oft willkürlichen Strafen, die mitunter härter sind als eine väterliche Züchtigung, ist eine gewisse Rechtfertigung des Diebstahls von Feldern der Bauern, die sie ja vor Viehfraß schützen sollten, gegeben. J. Aduedem hat wohl intuitiv das Vorhandensein einer doppelten Moral erkannt, wenn er schreibt (2020: 49):

Again, this presentation should be read in the context of the Builsa worldview of shepherding so that, while some activities of cowboys might be read in the light of today’s man as vices/bad behaviour, they are courageous acts…

Trotz der großen Ähnlichkeit der Bulsa Hirtengruppe mit der von Turner beschriebenen Communitas bestehen einige wichtige Unterschiede. Die Hirtengruppe bildet sich zu Beginn einer jeden Regenzeit neu, mit einigen neuen Teilnehmern und mit einer durch erneuten Ringkämpfe ermittelten Struktur. Religiöse Riten gibt es weder bei der Neubildung noch bei der Auflösung der Gruppe. 

Barbara Meier (2004) hat in Anlehnung an Turner das Konzept von Liminalität auf Migrantinnen und Migranten in Ghanas Hauptstadt Accra angewandt (S. 43), denn wie im klassischen Übergangsritual ist diese Lebensphase von Ambiguität und Unstrukturiertheit bestimmt” (S. 42). Allerdings zeigen viele Migrantinnen und Migranten keine Neigung, jemals ihr städtisches Leben wieder aufzugeben. Tatsächlich lebt ein großer Teil von ihnen bereits in der dritten Generation in dieser Stadt. Eine Rückkehr in die ländlichen Herkunftsdörfer kann jedoch auch nach dem Tode erfolgen kann [wenn der Leichnam oder als Ersatz etwas Erde vom Grab und ein Kleidungsstück im Norden bestattet werden]. “Somit findet die liminale Phase Migration in jedem Fall ihren Abschluss” (Meier, S. 43).
Zum Versuch der Autorin, die Südmigration als eine liminale Phase zu deuten, passt eine Information meines Informanten Godfrey Achaw aus dem Jahre 1973. Ein zurückkehrender Migrant trifft sich kurz nach der Ankunft in seinem Heimatdorf mit seinen Freunden zu einem gemeinsamen Mahl. Eine solche Mahlzeit ist auch nach van Gennep typisches Merkmal des Endes der liminalen Phase und der Wiedereingliederung in die alte Gemeinschaft. Der große Zusammenhalt und das “Wir”-Gefühl als eine quasi initiierte Gruppe kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass an diesem Mahl nur Freunde mit Migrationserfahrungen teilnehmen dürfen.
Das Leben der communitas in der Hirtengruppe und in einer südlichen Großstadt hat neben anderen auch die Benennung der liminalen Umgebung als “Busch” (sagi) gemeinsam.

Eine schwächere Realisierung der liminalen Phase für eine communitas-Gruppe stellt vielleicht das Leben in einer von der alltäglichen Umwelt abgeschirmte Internatsschule dar. Die erste Bulsa Schule dieser Art liegt zwischen Sandema und Wiaga, umgeben von Buschland. Die Kontakte der Schülerinnen und Schüler zu ihrem Elternhaus sind weitgehend abgebrochen, die Eltern kümmern (oder kümmerten?) sich nicht oder nur sehr wenig um das Leben und den schulischen Fortschritt ihrer Kinder. Traditionelle Strukturen gelten nicht mehr viel. Kinder von Häuptlingen stehen auf einer Ebene mit den Kindern von Lohnarbeitern. Übergangsriten beim Eintritt in die Schule sind nur schwach ausgebildet. Zum Schulabschluss findet jedoch, wie es oben für andere Wiedereingliederungsriten erwähnt wurde, ein gemeinsames Mahl mit dem Töten von Tieren und einem dem siinika-Ritual der Totenfeiern (siehe unten) sehr ähnlichem Geschenkeaustausch statt.

 

5. METHODE UND ARBEITSTECHNIK

Für die Bearbeitung des Themas dieser Arbeit boten sich vor allem die “klassischen” Methoden der Völkerkunde, die Beobachtung und das Interview an. Die Beobachtung in einer teilnehmenden Form ist gerade für die Erforschung von Übergangsriten außerordentlich wichtig. Fraglich ist nur, in welcher Art eine echte Teilnahme möglich ist, die sich nicht nur auf eine Beteiligung an den finanziellen Ausgaben des anschließenden Opfermahls beschränkt. Obwohl mir in befreundeten Familien oft versichert wurde, dass ich nun ein Sohn der Familie sei, nachdem ich alle ihre Geheimnisse (z.B. Übergangsriten) kannte, glaube ich nicht, dass es mir immer ganz gelungen ist, die Rolle des weißen Fremdlings (felika) und Außenseiters durch eine andere innerhalb der Bulsa Gesellschaft zu vertauschen.

Teilnehmende Beobachtung am Pung Muning Erdschrein (In der Mitte der Erdherr Anamogsi)

In drei verschiedenen Lebensbereichen bemühte ich mich um das Vertrauen gerade der jüngeren Bulsa: in der Schule, bei den Hirten im “Busch” (goai) und im Gehöft (yeri). Zu Beginn meiner Feldforschungstätigkeit (1973) unterrichtete und wohnte ich in der Sandema Continuation Boarding School. Obwohl (weil?) ich von Schülern und Schülerinnen felika und nicht teacher genannt wurde, erhielt ich Einsicht in mannigfaltige Probleme der Schüler(innen) und erlebte ihre Reaktionen und Einstellungen zu alten Traditionen und neuen Einrichtungen. Etwa vier Wochen widmete ich mich fast ausschließlich der Hirtengruppe von Sandema-Kalijiisa-Yongsa. Seltsamerweise wurde ich hier stärker als in der Schule oder im Gehöft als Mitglied der untersuchten Gruppe betrachtet. Ich übernahm kleine Aufgaben beim Eintreiben der Kühe oder bei der Jagd nach Hasen, Erdhörnchen, Warane usw. und erhielt bei der Zuteilung von gesammelten Beeren den gleichen Anteil wie die anderen Gruppenmitglieder. Da keiner der Hirtenjungen Christ war oder eine Schule besucht hatte, waren meine Beobachtungen und Erkundigungen über ihre Einstellungen zum Christentum, zur traditionellen Religion, zur Schule usw. von großer Wichtigkeit.
Meine Wohnaufenthalte in einigen Bulsa-Gehöften dienten fast ausschließlich {27} der Beobachtung des Alltagslebens (Säuglingspflege, Hygiene, Kindererziehung, Arbeitsaufteilung, Rollenverhalten der Geschlechter, Kontakte zu Nachbargehöften, Tabus im Tagesablauf, religiöse Betätigungen usw.).
Nach meinen ersten Erfahrungen in der Schule, bei den Hirten und im Gehöft richtete sich meine Aufmerksamkeit immer mehr auf die Riten und Bräuche der Bulsa. Bei der Teilnahme an traditionellen Festen oder rituellen Handlungen bestand für mich die Gefahr, dass ich selbst zu einem zweiten Mittelpunkt der Feier wurde, zumal wenn ich von Kamera und Tonband Gebrauch machte. Nach mehrmaliger Teilnahme an Festen im gleichen Gehöft (z.B. bei L. Amoak) war das Interesse an meiner Person jedoch weitgehend geschwunden, und die Aufmerksamkeit richtete sich in stärkerem Maße wieder auf das rituelle Geschehen.
Die Außenseiterstellung des Forschers ist aber nicht immer ein Nachteil für seine Arbeit, denn häufig wurden mir Informationen mit der Auflage gegeben, sie nicht an Bulsa weiterzuerzählen, und ein aussagewilliger Hausherr verstummt gewöhnlich sogleich, wenn ein Gast einer anderen Bulsa-Sektion hinzukommt.
Die Bulsa, die mir eine Teilnahme an Riten und Opfern in ihrem Hause erlaubten, sollen hier kurz vorgestellt werden:
1. Leander Amoak aus Wiaga-Sinyansa-Badomsa (1974 etwa 59 Jahre alt, mit vier Frauen verheiratet, neun Kinder). Er wurde als Kind zum Besuch der ersten katholischen Missionsschule gezwungen, wurde Christ, war zeitweise für das Studium der Theologie vorgesehen, wurde dann aber Lehrer und ließ sich katholisch trauen. Nachdem mehrere Ehen kinderlos blieben (vgl. S. 303f.), kehrte er zur traditionellen Religion zurück. Bis Dezember 1972 war er Zeichenlehrer an der Sandema Continuation Boarding School. Einigen Jahre danach wurde L. Amoak kpagi (Ältester, engl. elder) einer Subsektion von Badomsa. Ich möchte L. Amoak für die Zeit bis zu seinem Tode (1983) nicht nur als meinen Hauptinformanten bezeichnen, sondern er war auch der erste Bulo, der mich ohne Einschränkung an allen Riten in seiner Familie teilnehmen ließ.
2. Häuptling Asiuk aus Wiaga-Yisobsa (polygam verheiratet, viele Kinder). Ebenso wie L. Amoak gehört er zur ersten Generation, die die {28} 1927 errichtete katholische Missionsschule in Wiaga besuchte. Die meisten seiner Söhne sind katholische Christen; unter ihnen befindet sich der erste katholische Priester der Bulsa. Die Teilnahme an Opfern und an der Einkleidung eines Haus-tanggbain wurde mir durch Vermittlung seines Sohnes Clement Assibi ermöglicht. Dieser war damals Schüler der Wiaga Middle School. Clement Assibi hat mich auch mit Informantinnen bekannt gemacht, die mir über ihre Exzision berichten konnten.
3. Anpan Achaw aus Sandema-Kalijiisa-Yongsa (polygam verheiratet, 6 Kinder). Er selbst ging früher sonntags häufig in die presbyterianische Kirche und steht auch heute noch dem Christentum recht freundlich gegenüber. Anpan machte keine Einwände, als eine seiner Frauen als erste Frau Kalijiisas, die z.Z. ihrer Konversion nicht Schülerin war, Christin wurde und seitdem aktiv in der presbyterianischen Pfarrei mitarbeitet. Der Hausherr (yeri-nyono) Anpan lebt mit vier Brüdern zusammen, von denen drei Christen sind. Seine Brüder Godfrey Achaw und Norbert Achaw haben mir als Informanten, Übersetzer (Godfrey) und Vermittler bei meinen Interviews in Yongsa (Norbert) große Dienste geleistet.
4. Asekabta Ayieta (polygam verheiratet, viele Kinder) aus Sandema-Abilyeri (wohnhaft in Suarinsa). Asekabta ist ein Sohn des verstorbenen Sandema-Häuptlings Ayieta, war nie Christ und hat auch keine Schule besucht. Er ist jedoch ein großer Verehrer der katholischen Missionare in Wiaga und machte nur geringe Einwände, als sein Sohn Robert katholischer Christ wurde und eine leitende Stellung in der katholischen Jugendbewegung einnahm. Die Teilnahme an den pobsika-Riten (vgl. Kap. II,4) erlaubte mir Asekabta sofort nach Vermittlung seines Sohnes Robert, der mir ähnliche Dienste geleistet hat wie Clement Asiuk.
Fast alle oben aufgeführten Bulsa haben Kontakte mit der europäischen Kultur oder dem Christentum gehabt und geben daher in ihren Einstellungen zu religiösen Handlungen nicht etwa eine Durchschnittshaltung der nichtchristlichen Bulsa wieder. Häufig zeigt sich in ihrer Einstellung eine Skepsis der traditionellen Religion gegenüber, die manchmal verbunden ist mit dem Versuch, neue Erklärungen für altbekannte {29} Phänomene zu finden oder Synthesen zwischen der traditionellen und europäischen Kultur zu schaffen.
So erklärte mir z.B. Asiuk, der Häuptling von Wiaga, dass die Bulsa ihren Ahnen Schreine (bogluta) errichten, damit sie ihre Namen nicht vergessen. Die Europäer hätten für ihre Ahnen keine bogluta nötig, da sie die Namen ihrer Ahnen aufschreiben könnten. Die bogluta entsprächen also den Büchern der Europäer.
Die häufigsten Anachronismen und sprachlichen Neuschöpfungen leistete sich jedoch mein Hauptinformant Leander Amoak, so etwa wenn er den ma-bage-Tontopf (s. Abb. 42) als scabies-pot, die Erde (teng), die einem tanggbain (Naturheiligtum) entnommen und im Gehöft aufbewahrt wird, als sub-teng und die bogluta seiner Ahnen Ayarik, Agbana und Adachoruk als Ayarik and Co. bezeichnet. Die drei Lehmkugeln der wen-piirika-Feier deutet er – halb scherzhaft – als Verkörperungen von Gottvater, Gottsohn und Hl. Geist. Es darf aber nicht übersehen werden, dass der gleiche Leander Amoak bei den nichtchristlichen Bulsa als Experte für rituelle Streitfragen gilt, vielleicht gerade deswegen, weil er seine durch die europäische Ausbildung beeinflusste Exaktheit auf die traditionelle Religion anwendet, sich Fragen stellt, wo vielleicht andere keine Probleme sehen und alle Erklärungsmöglichkeiten, die sich aus der traditionellen Religion ergeben, begierig aufnimmt.
Zu einem Interview haben sich nicht nur alle jungen Bulsa, sondern auch fast alle Hauseigentümer (yeri-nyam, Pl.) bereiterklärt, wenn ich sie darum bat. Es wäre unhöflich gewesen, einem Gast nach zeremonieller Begrüßung und nach der Entgegennahme eines Gastgeschenkes eine Bitte abzuschlagen. Häufig jedoch konnte sich der Befragte an fast nichts mehr erinnern, wusste nicht einmal, wo der bogluk seines Vaters stand. oder bat mich, ein andermal wiederzukommen. Folgende Fragenkomplexe scheinen u.a. bei den Bulsa besonders heikel zu sein, und nur wenn zwischen Frager und Befragten ein starkes Vertrauensverhältnis besteht, der Befragte sehr stark akkulturiert ist oder sich im Besitz einer großen kokta pagrem (magische Kraft, vgl. Kap. V,1) glaubt, bestehen Aussichten, eine zufriedenstellende Antwort zu erhalten.

1.Fragen über Eigentumsgrenzen, Besitzverhältnisse an Land usw. [Endnote 62].
2. Fragen nach der Größe des Viehbesitzes {30}
3. Fragen nach den Namen von bogluta,
4. Fragen nach der genealogischen Abstammung (besonders wenn der Verdacht besteht, von einem Sklaven abzustammen),
5. Fragen nach Konflikten im Haus (Gründe für neue Hausgründungen, Auszüge usw.).

Überblicke ich rückschauend die Schar der Informanten und Helfer, die mir wichtige Auskünfte gegeben haben (hierbei müssen auch die jüngeren Schulabsolventen eingeschlossen werden, die sich z.T. selbst angeboten haben), so kann ich kein einheitliches Motiv für ihre Aussagebereitschaft finden. Für einige mag die Möglichkeit, sich ein Geldgeschenk zu verdienen, ausschlaggebend gewesen sein, andere hatten ein starkes eigenes Interesse an den gestellten Aufgaben. Als ich Augustine Akanbe (Sandema-Balansa) bat, mir seine Lebensgeschichte aufzuzeichnen, antwortete er mir, dass er diese Aufgabe für sehr interessant halte, da er selbst schon einmal so etwas vorgehabt hätte. Dann verfasste er eine Lebensgeschichte von 120 Seiten.
Robert Asekabta und andere hatten schon vor meiner Ankunft Material über die Geschichte und Bräuche der Bulsa gesammelt, und Robert hatte sogar vor, am vermutlichen Wohnplatz des Urahnen Atuga Ausgrabungen vorzunehmen.
Keineswegs können die Informanten verallgemeinernd als Außenseiter der Gesellschaft bezeichnet werden, gehören doch Häuptlinge, Sektionsälteste (kpaga), Hausherren (yeri-nyam), Lehrer und Jugendführer zu ihnen.
Neben der Form des freien oder nur wenig strukturierten Interviews wurden von mir einige Versuche unternommen, Standardfragen an beschnittene Mädchen zu richten, wobei die letzten Fragen sich auf ihre Einstellung zur Beschneidung bezogen (vgl. Kap VI,6). Da erwartungsgemäß die Verweigerungsquote recht hoch war und ein echtes Sample nur schwer zu ermitteln war, lassen sich die Ergebnisse dieser Aktion in keiner Weise statistisch auswerten, sie sind nur interessant als subjektive, biographische Aussagen einer Einzelpersönlichkeit, ohne dass daran gedacht wird, die Aussagen zu verallgemeinern. Geht man von dieser Vorstellung aus, so ist es angebracht, die persönlichen Einstellungen zu einzelnen Riten (hier z.B. zu Beschneidungsriten) in den Rahmen einer {31} Gesamtbiographie einzubauen. So bat ich die Mädchen, mir ihre Lebensgeschichte aufzuzeichnen, und im Laufe meiner Feldforschungstätigkeit wurde dem Sammeln von Lebensgeschichten eine immer stärkere Bedeutung zugemessen [Endnote 63].
Entsprechend meinem starken Interesse an Akkulturationsproblemen habe ich mich hier auf Bulsa mit Schulbildung beschränkt. Ich bemühte mich, die Lebensgeschichten aller Bulsa- Mittelschulabsolventen der Untersuchungseinheit Sandema-Kalijiisa-Yongsa so wie der Städte Cape Coast und Sekonden-Takoradi zu sammeln, aber nur in Cape Coast ist mir dies ohne Ausfall oder Verweigerungen gelungen. Alle 33 Biographen schrieben ihren Lebenslauf in englischer Sprache nieder. Um den Schreibern eine Arbeitshilfe zu geben und um zu gewährleisten, dass die für meine Arbeit wichtigen Themen (Übergangsriten, Erziehung) berücksichtigt wurden, stellte ich jedem Biographen ein Blatt mit einigen Richtlinien zur Verfügung. Der Informant verfasste seine Lebensgeschichte gewöhnlich in meiner Abwesenheit. In einem anschließenden Interview wurden nicht nur Unklarheiten geklärt, sondern der Biograph wurde auch aufgefordert, über interessant erscheinende Einzelheiten weitere Informationen zu geben. In der hier vorliegenden Arbeit konnten nur Einzelzitate aus Lebensbeschreibungen verwendet werden {32}.
Nach meinem ersten Feldforschungaufenthalt (1972-74) änderte sich meine Feldforschungsstrategie insofern, dass meine Aufenthalte immer stärker stationär wurden. Bis 1984 lebte ich nur einen Teil meiner Forschungszeit in dem Gehöft Anyenangdu Yeri (Wiaga-Badomsa), seit 1986 wurde es mein ständiger und einziger Wohnsitz, von dem auch alle anderen Arbeiten ausgingen. Zahlreiche Riten mit eingehenden Informationen konnte ich von hier aus auch in den unmittelbaren Nachbargehöften Atinang Yeri, Atuiri Yeri, Abasitemi Yeri und Akanming Yeri beobachten und dokumentieren.
Vor allem in dem einjährigen Aufenthalt 1988-89 konnte ich uneingeschränkt an allen religiösen und weltlichen Aktivitäten eines ganzen Jahreszyklus teilnehmen, ja man erwartete dieses sogar von mir. Ich trat in dieser Zeit nicht einseitig mit vorgefassten Fragen an Gehöftbewohner heran, sondern die Initiative für neue Forschungen lag eher bei den anderen. Wenn der Gehöftherr Anamogsi mich als seinen senior son bezeichnete, so war das nicht nur eine höfliche Geste, sondern hatte praktische Folgen. Oft musste ich andere wichtige Termine verschieben, weil ein Ritual mit obligatorischer Teilnahme anstand. Von Opfern, an denen ich selbst nicht teilnehmen konnte, bekam ich auch meinen entsprechenden Fleischanteil (vgl. auch Kröger 2012: 41-42).
Wenn Anamogsi als Erdherr (teng-nyono), Medizinmann (tiim-nyono) oder elder (kpagi) einen seiner Besuche mit mir in andere Gehöfte Badomsas machte, erübrigte es sich, den Gehöftherrn des anderen Gehöfts um Erlaubnis für die Teilnahme an Riten zu bitten. “Man kann nicht jemand bitten bestimmte Riten auszuführen und dann seinem Sohn verbieten ihn zu begleiten” sagte er mir.
Die hier gewählte Methode des stationären Aufenthalts in einem Gehöft brachte mir ein außergewöhnlich umfangreiches Material an ethnografischen Daten ein, das sich nicht nur auf die von mit gewählten Forschungsschwerpunkte eines Aufenthalts bezog.

 

6. DARSTELLUNGSWEISE

In ethnographischen Monographien werden Übergangsriten häufig in einer normativen Form beschrieben, z.B.: “Die Angehörigen des Stammes A. bestatten ihre Toten in folgender Weise…” Diese Ausdrucksform ist schlechtestenfalls die Übernahme einer normativen Beschreibungsweise eines Informanten, bestenfalls die Abstraktion aus einer Reihe von Beobachtungen und Informationen.
Für die Bulsa kann gesagt werden, dass eine sehr starke Neigung zu einer solch normativen Darstellungsweise besteht [Endnote 64]. Die meisten Informanten gehen davon aus, dass die Bulsa eine rituelle Einheit bilden, und man gibt höchstens kleine Abweichungen zwischen den Nachkommen des vor 2-3 (?) Jahrhunderten eingewanderten Urahnen Atuga, den Südbulsa (z.B. Kanjaga, Fumbisi, Gbedema, u.a., s. Kröger 2017, 32-61) und den von den Kasena beeinflussten Einwohnern Chuchuligas und Biuks zu. In Wirklichkeit bestehen aber nicht nur zwischen den Dörfern Sandema und Wiaga, die sich beide als Atuga-bisa (Kinder Atugas, s.o.) bezeichnen, sondern oft sogar zwischen den einzelnen Häusern einer einzigen Klansektion große Unterschiede in der Ausübung von Riten. Wie unten noch dargestellt werden soll, hat etwa Sandema ein ausgebildetes System von Scherzbeziehungen zwischen einzelnen Sektionen, das in Wiaga in dieser Form unbekannt ist, während das komplexe Heiratssystem Wiagas (vgl. Kap VII,1a) in Sandema nicht seinesgleichen hat. In Sandema-Kalijiisa-Yongsa behandeln die meisten Häuser Nabelschmerzen von Kleinkindern durch Nabelschnitte, während in einigen Häusern der gleichen Lineage und Subsektion solche Schnitte streng verboten sind.
Das Ausweichen der indigenen Informanten in eine normative Darstellungsweise, die oft verallgemeinernd spezielle Riten und Bräuche der eigenen Sektion auf die Bulsa überträgt, hat nicht nur den Grund, bewusst oder unbewusst die rituelle Einheit aller Bulsa herauszustellen. Häufig besteht beim Informanten (und mehr noch bei Informantinnen) eine große Scheu oder Bescheidenheit (?), das eigene rituelle Erlebnis als solches zu erzählen. Vielleicht rührt dieses Verhalten auch daher, {33} dass man meint, der fremde Forscher sei ja “nur” an dem Stamm interessiert, und man möchte ihm die Arbeit leicht machen. So ist es nicht verwunderlich, wenn Mädchen, die ausführlich darüber unterrichtet wurden, einen persönlichen Bericht über ihre Beschneidung zu geben, ihre Ausführungen etwa in folgender Weise beginnen: “Wenn du zur Beschneidung gehst…” Es spielt hierbei auch keine Rolle, ob die Informantinnen ihren Bericht in Buli oder Englisch abgegeben haben (Fi dan a cheng ngarika… lf you are going to excision…).
Da bereits darauf hingewiesen wurde, dass Verallgemeinerungen der indigenen Informanten mit größter Vorsicht zu behandeln sind, kann es nur Aufgabe des Forschers sein, wenn er nicht alles durch eigene Beobachtungen erfassen kann, in Interviews oder durch niedergeschriebene Berichte biographisches Material zu sammeln, indem er den Informanten in allen Einzelheiten Riten und andere Handlungen beschreiben lässt, die dieser an sich selbst erlebt hat oder an denen er wenigstens selbst teilgenommen hat. Erst an einer möglichst großen Sammlung von Einzelberichten könnte die Schreibtischarbeit des Ethnographen beginnen. Gewöhnlich wird diese Arbeit darin bestehen, die Quellen kritisch zu untersuchen, unglaubwürdige Aussagen auszuscheiden und durch Vergleiche schließlich zu einer gewissen Norm für ein bestimmtes Gebiet zu kommen, auch wenn Variationen und geringfügige Abweichungen bestehen bleiben.
Der hier aufgezeichnete Weg soll in dieser Arbeit nur teilweise beschnitten werden. Zwar wurden auch hier unglaubwürdige, verschwommene oder wenig aussagekräftige Quellen für die Auswertung ausgeschieden, es wurde jedoch häufig nicht der letzte Schritt getan, von Einzelaussagen zu einer verallgemeinernden Aussage für eine bestimmte Gruppe (z.B. Atuga-bisa) zu kommen, sondern Einzelaussagen bleiben oft als Quellenzitate nebeneinander stehen, vereinzelt sogar im Widerspruch zueinander. Die Rechtfertigung dieser Darstellungweise liegt nicht nur darin, dass mir nur von etwa 30 der mehr als 170 Bulsa-Klansektionen Informationen über Übergangsriten vorliegen und so eine Verallgemeinerung fragwürdig bliebe. Es soll hier auch der Versuch gemacht werden, dem Leser einen größeren Einblick in die angewandten Arbeitsmethoden und ihre Einzelergebnisse zu gewähren {34}.
Dieser Einblick könnte besonders gewinnbringend für den speziell an der Themenstellung interessierten Ethnologen und Ethnographen sein, da eine Weiterarbeit an dem gleichen oder ähnlichen Thema so erleichtert wird und Fehler leichter auf ihre Ursprünge hin zu verfolgen sind. So könnte die hier gewählte Darstellungsform auch ein Kompromiss sein zwischen einer Bekanntgabe der stark zusammengefassten, kommentierten Feldforschungsergebnisse und einer Veröffentlichung der Feldforschungsergebnisse selbst, die häufig genug gefordert worden ist [Endnote 65].
Zuletzt soll bei der Diskussion der hier gewählten Darstellungsform mit ihren vielen biographischen Erlebnisberichten und subjektiven Aussagen der Informanten noch einmal auf ein Ziel dieser Arbeit hingewiesen werden: Es sollen nicht nur Riten beschrieben werden, sondern es wurde auch versucht, die Einwirkung der traditionellen Übergangsriten auf das Leben junger Menschen und deren Reaktion auf diese zu erfassen {35}.

 

ENDNOTEN (EINLEITUNG)

1  Einen Anhaltspunkt für die Zeit der Einsaat und Ernte bot mir: Ghanaian-German Agricultural Development Project Northern and Upper Region, Crop Production Guide, Handbook for the Extension Worker, (Tamale, 1974). Wie eine Überprüfung bei den Bulsa ergab, liegen dort die Zeiten für die Einsaat gewöhnlich etwas vor den im “Handbook” empfohlenen Zeiten.

1a  Die in dieser Arbeit zitierten Buli-Ausdrücke wurden zum großen Teil durch eigene Erfragungen gewonnen, z.T. wurden sie der Vokabelkartei der Presbyterian Mission Sandema, z.T. dem Dictionnaire Buli – Français von L. Melançon und A. Prost (Dakar 1972) entnommen. Nach 1992 war das Buli-English Dictionary fast mein einziges Referenzwerk.

1b  Die Jahreswerte für die Station Navrongo wurden entnommen aus: Ghana Metereological Service Department. Annual Summary of Observation in Ghana, 1966-70 (5 Bände).

2  S.V. Adu, Soils of the Navrongo-Bawku Area, Upper Region, Ghana, Memoir No. 5, Soil Research Institute, Kumasi, Map 4 (Anhang), (1969).

3a Ib., Map 2 (Vegetation and Land-Use).

4 G. Benneh, ‘The Attitudes of the Kusasi Farmer of the Upper Region of Ghana to his Physical Environment,’ Institute of African Studies Research Review, 6,3 (1970), S. 87 – 100.

5 Der Frage nach den Ursachen für Streusiedlungen ist K.B. Dickson unter Einbeziehung militärischer und soziologischer Aspekte nachgegangen: ‘Nucleation and Dispersion of Rural Settlements in Ghana,’ Ghana Social Science Journal, 1, 1 (1971), S. 116 – 131.

6  Ibd. S. 128 f.

7  L. Prussin, Architecture in Northern Ghana, A Study of Form and Functions, University of California Press, Los Angeles (London, 1969), S. 51 – 65.

8 Ibd., S. 66 – 80.

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9  Die Gehöftsformen nähern sich damit dem von K.B. Dickson als “Kusase house type” bezeichneten Typ (Dickson, S. 127). H. Baumann weist das Dachterrassenhaus einer altmediterranen, das Kegeldachhaus einer altnigritischen Kulturschicht zu. Vgl. H. Baumann, R.Thurnwald, D. Westermann, Völkerkunde von Afrika (Essen, 1940), S. 70, 340 und 350. Viele Bulsa haben mir gegenüber versichert, dass Häuser mit Flachdächern bei ihnen ein höheres Alter haben als Kegeldachhäuser. Diese und Häuser mit Zinkdächern werden in manchen Gebieten des Bulsa-Landes als moderne Formen tabuiert (z.B. in Kalijiisa – Anuryeri).

10 Köln und Opladen, 1970, S. 14 – 17.

11 Vgl. auch die Lagepläne in Kap. V,4b (S. {182} und S. {185} dieser Arbeit).

11a  Von den Außenstationen wurden Anfang des 21. Jahrhunderts Fumbisi (2002) und Sandema eigenständige Pfarren.

12 The Dynamics of Clanship among the Tallensi, Oxford University Press (London, New York, Toronto, 1945).

13 Bulsa mit Englischkenntnissen nennen sie towns. Das Wort city, das etwa in der Bedeutung “Großstadt” gebraucht wird, wendet man oft ironisch für Bulsa-Ortschaften (tengsa) an, z.B. Gbensco-City für Gbedema.

13a  Die Flächeneinheiten der Klansektionen und der Verwaltungsbezirke eines kambon-naab sind nicht deckungsgleich. Wiaga-Badomsa und Kubelinsa haben zusammen nur einen kambon-naab, während es für Wiaga-Chiok zwei kambonnalima gibt.

14 Vgl. M. Fortes (1945), The Dynamics of Clanship, S. 30-38.

15 M. Fortes, The Web of Kinship among the Tallensi, Oxford University Press, 3. Aufl. (London 1967), S. 64. Nach Fortes können auch zwei oder mehr domestic families in einem einzigen Compound wohnen, wobei jede domestic family ihren eigenen Eingang hat. Solche getrennten Wohngemeinschaften innerhalb eines Gehörs sind mir bei den Bulsa nicht begegnet.

15a B. Grindal, Growing Up in Two Worlds, Education and Transition among the Sisala of Northern Ghana (New York, Chicago, San Francisco, Atlanta, Dallas, Montreal, London, Sydney (cop.) 1972), S.B.

16 The Web of Kinship, S. 64.

17 Die Benennungen der verschiedenen Typen mit Großbuchstaben (A, B, C, D) wurden vom Verfasser der vorliegenden Arbeit vorgenommen.

18 The Social Organisation of the LoWiili, 2. Aufl., London 1967, S. 42.

19 Nicht aufgeführt wurde in dieser Tabelle ein Haus in Kalijiisa Choabisa, in dem nur zwei Frauen (Schwestern) aus Yongsa wohnen. Dass nur Frauen (mit ihren Kindern) in einem Gehöft leben, kommt zwar selten vor, mir sind jedoch mindestens zwei weitere Fälle bekannt. Hier handelt es sich jedoch um Witwen, die nach dem Tode ihres Mannes nicht in das Gehöft der Eltern ihres Gatten ziehen wollten.

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20 The Web of Kinship, S. 65

21 Zur joint family gehören hier die Typen B, C und D.

22 Die gleichen Bezifferungen wurden auch im Kap. V,3b, {S. 183ff. und 185f.} verwendet.

23 Vgl. R. Schott, Bibliographic Note on the Ethnography History, and Language of the Bulsa (Builsa) in Northern Ghana (unveröffentlichtes Manuskript), Münster, 1974.

24 Du Niger au Golfe de Guinée par le pays de Kong et le Mossi, (Paris, 1892), Bd. 11, S. 36.

25 Aus Leben und Dichtung, Fußnote 5, S. 87.

26 Die sakralen Häuptlinge der Gurunsi im Obervolta-Gebiet Westafrika, Mitteilungen aus dem Museum für Völkerkunde in Hamburg, 27 (Hamburg, 1961), S. 1.

27 Le Noir du Soudan (Paris, 1912), S. 275 – 94.

28 The Natives of the Northern Territories of the Gold Coast (London, 1920), S. 76.

29 Mit Sinésé ist wohl Sinyensi, mit Bationsé wohl Bachonsi (Bachonsa) gemeint. Vgl. auch R. Schott, Aus Leben und Dichtung, S. 87 (Fußnote 5).

30 L. Tauxier gebraucht in seinem Werk Le Noir du Soudan den Ausdruck dot, der mit “Mitgift” übersetzt werden muss. Aus seinen Ausführungen geht jedoch hervor, dass er an einen Brautpreis denkt.

31 Aus Leben und Dichtung… , S. 88.

32 ‘Ethnographisch bisher nicht oder nur unzureichend untersuchte “Stämme” in Westafrika,’ Bulletin of the International Committee on Urgent Anthropological and Ethnological Research, 2 (1959), S. 110f.

33 Ergebnisse völkerkundlicher Forschungen bei den Bulsa in Nord-Ghana 1966/67 (Köln und Opladen, 1970).

35 Die hier behandelte Literatur kann nicht einmal für unsere Themenstellung (Übergangsriten) erschöpfend dargestellt werden. Weitere {348} Arbeiten über ethnische Gruppen Nordghanas, die für unsere Fragestellung relevantes Material enthalten, wurden verfasst von: C.H. Armitage (1913), E. Champagne (1928), R. Fisch (1912/13), Esther Goody (1962 und 1966), V.M. Hien (1968/69), H. Labouret (1931), M. Manoukian (1952), D. Tait (1961), A. Zajaczkowski (1967) und J. Zwernemann (mehrere Arbeiten).
Nähere Angaben: siehe Literaturverzeichnis!

36 Le noir du Soudan (Paris, 1912) und Nouvelles Notes sur le Mossi et le Gourounsi (Paris, 1924).

37 The Natives of the Northern Territories of the Gold Coast (London, 1920) und Tales Told in Togoland (London, 1931).

38 The Tribes of the Ashanti Hinterland, 2. Bde. (l. Aufl: Oxford, 1932; Nachdruck: London, 1969).

39 The Web of Kinship (1967), S. 227 ff.

40 Ib. S. 228. Vgl. J. Zwernemann, ‘Präexistenz und Prädestination im Volta-Gebiet und in Oberguinea, Zeitschrift für Ethnologie, 85 (1960), S.187 – 196.

41 Fortes (1967), S. 229.

42 The Social Organisation of the LoWiili (1. Aufl.: London, 1956; 2. Aufl.: London, 1967) und Death, Property and the Ancestors. A Study of the Mortuary Customs of the LoDagaa of West Africa, Stanford University Press (Stanford, Calif., 1962).

43 Vgl. Einleitung 2 (Sozialstruktur) S. {9 ff.} und Schluss 3 (Funktion der Übergangsriten), S. {335 ff.}

44 Hamburg, 1961.

45 Vgl. K. Dittmer, ‘Ethnographisch bisher nicht oder nur unzureichend untersuchte “Stämme” in Westafrika…

46 The Ethnography of the Isala of Northern Ghana (Cambridge, o.J.). Später erschienen auch auf Feldforschungen beruhende Werke, z.B. Mendonsa 2001.

47 Growing up in Two Worlds (1972).

48 R.S. Rattray, The Tribes of the Ashanti Hinterland; L. Tauxier, Le Noir du Soudan; A.W. Cardinall, The Natives of the Northern Territories of the Gold Coast.

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49 The Kusasis. A Short History (o.O. 1932)

50 Die Kusase. Eine medizinisch-ethnologische Studie über einen Stamm in Nordghana (Stuttgart, 1967).

51 Vgl. J. Zwernemann, ‘Präexistenz und Prädestination’ und R.S Rattray, The Tribes of the Ashanti Hinterland, S. 180 – 83. Rattrays Ausführungen (sie beziehen sich auf die Nankanse) erinnern stark an die entsprechenden Riten der Bulsa (wen-piirika), aber auch von ihm wird kein wen-Stein erwähnt.

52 Hg. K. Goldammer, 2. Aufl. (Stuttgart, cop. 1962).

53 Ghana in Retrospect. Some Aspects of Ghanaian Culture (Accra-Tema, 1974), S. 71.

54 Die Religionen Afrikas (Stuttgart, 1974), S. 71. Rattray (The Tribes of the Ashanti Hinterland) nennt unter der Überschrift Rites de Passage: birth, puberty, marriage, and funeral customs (S. 288).

55 Religion in Africa (London, 1969), S. 79.

56 Les Rites de Passage (Paris, 1909).

57 Ibd. S. 15.

58 Ibd., S. 26 – 30.

59 Death, Property and the Ancestors (1962).

60 Religion in Africa, S. 81

61 Vgl. K. Dittmer, Die sakralen Häuptlinge..., S. 34; “Die Gurunsi kennen in allen Bereichen ihrer Lebensführung keine scharfe Trennung zwischen religiösen und profanen Handlungen…”

61a Ein Sohn des Häuptlings von Wiaga erzählt in seiner Lebensgeschichte, dass gerade er von den Anführern gequält und gedemütigt wurde.

62 Zurückhaltung in der Beantwortung der Fragen 1 und besonders 2 kann auch auf wirtschaftliche und fiskalische Überlegungen beruhen. Es besteht jedoch der Glaube, dass Gespräche über Landgrenzen den unmittelbaren Tod der Gesprächspartner zur Folge haben können.

63 Als Grundlage für die hier diskutierte Arbeitsmethode war mir vor allem folgendes Werk von großem Nutzen: L. Gottschalk, C. Kluckhohn, R. Angell, The Use of Personal Documents in History, Anthropology and Sociology (New York, 1945).

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64 Mit ähnlichen Problemen musste sich auch J. Goody bei den LoWiili auseinander setzen. Vgl. J. Goody, ‘Normative,’ ‘recollected’ and , actual’ marriage payments among the LoWiili of Northern Ghana. 1951 – 1966′, Africa, 39,1 (1969), S. 54 – 61. Auch der Bericht Victor Aboyas in Rattrays Werk (The Tribes of the Ashanti Hinterland, S. 131 ff.) weist eine stark normative Darstellungsform auf.

65  Z.B. von Cl. Kluckhohn. Vgl. L. Gottschalk, C. Kluckhohn, R. Angell, The Use of personal Documents … S. 154 f.

 

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