SCHLUSS

{304-344}

1. DIE ETHNOGRAPHISCHEN DATEN IN EINEM WEITEREN RAHMEN

Es gehörte zu den wesentlichen Anliegen dieser Arbeit, Material über Übergangsriten zu einer bestimmten Zeit (1972 – 1974) bei einer bestimmten ethnischen Gruppe (den Bulsa) zu sammeln, es kritisch zu beleuchten und auszuwählen, Einzelbeobachtungen in den richtigen Zusammenhang zu stellen und das Ganze in geordneter Form so darzustellen, dass es für weitere Forschungen verwandt werden kann. Diese Selbstbeschränkung in der Themenbearbeitung ist jedoch schon an einigen Stellen dieser Arbeit durchbrochen worden, um Deutungsversuchen oder Erklärungen, die sich unmittelbar an eine Darstellung anschlossen, Platz zu machen. Hierzu gehört etwa der Versuch einer Interpretation der wen-piirika {S. 193ff.} oder die gedankliche Verbindung der Exzision und ihres rituellen Beiwerks mit einem Geburtsvorgang {S. 225ff.}.
Auch im Schlussteil dieser Arbeit soll versucht werden, Anregungen zu geben, wie die in der Feldforschung gewonnenen Daten in einen anderen, größeren Zusammenhang gestellt werden können, um so gleichzeitig Anstöße für weitere, auswertende Forschungsarbeiten zu geben. Hierbei bieten sich vor allem zwei Möglichkeiten an:
1. Die ethnographischen Daten der Bulsa-Übergangsriten können mit ähnlichen Daten verwandter Ethnien, etwa der Mole-Dagbane oder Gur-sprechenden Populationen, verglichen werden, um ihnen so einen Platz in der größeren kulturellen Einheit zuzuweisen.
2. Die Daten können auf ihre Funktion in der sozialen Gesamtorganisation der Bulsa hin untersucht werden. Hierbei müssten auch Akkulturationserscheinungen mit einbezogen werden. In den Äußerungen der schulgebildeten jüngeren Generation zu den Übergangsriten und in der Beschreibung ihrer Konflikte ist die Einstellung der Schüler und Schulentlassenen bereits an anderen Stellen dieser Arbeit angedeutet worden, soll hier jedoch unter allgemeineren Gesichtspunkten noch einmal zusammenfassend dargelegt werden {305}.

 

2. VERGLEICH MIT ANDEREN ETHNISCHEN GRUPPEN NORDGHANAS

Die Frage, welcher der beiden oben dargelegten Aufgabenstellungen man sich zuwendet, kann m.E. nur von dem Forschungsziel her beantwortet werden. Die Methode des Vergleichs von Einrichtungen ethnischer Gruppen wird sicher an einer Stelle zu diachronischen Problemen führen. Große Übereinstimmungen in den Übergangsriten benachbarter Gruppen lassen Fragen folgender Art aufkommen: Wie erklärt sich die Ähnlichkeit? Durch gemeinsame Abstammung? Durch parallele, aber unabhängige Entwicklung, die bei der gleichen Grundlage ansetzte? Durch ähnliche Herausforderungen der Umwelt? Durch kulturelle Kontakte? Wer waren die Kontaktpersonen?
Der hier aufgezeigte Weg würde vielleicht nicht nur eine historische Tiefe in die Thematik dieser Arbeit bringen [Endnote 1], sondern möglicherweise auch rückwirkend das Verständnis mancher Bulsa-Riten erleichtern.
Nach meinen Erfahrungen gibt es bei den Bulsa einen starken Austausch von rituellen Praktiken, von religiösen Einstellungen und von “Göttern” (bogluta) mit den Nachbarstämmen, wobei wohl die Bulsa stärker zum empfangenden als zum gebenden Teil gehören. Auch der nicht nur durch Kontakte verursachte Wandel im traditionell-religiösen Bereich ist sehr groß. Auf Veränderungen der Werbungs- und Hochzeitssittten in den letzten Jahrzehnten wurde bereits hingewiesen. Hierfür sind wohl weniger Entlehnungen von anderen ethnischen Gruppen Nordghanas verantwortlich. Der Wandel ist eher Ausdruck des neuen Lebensgefühls einer jüngeren Generation, das seinerseits wieder auf verschiedene Einflüssen zurückgeht, nicht zuletzt auch auf die Einwirkung der europäischen Kultur.
Aber auch Beispiele für echte kulturelle Entlehnungen auf religiösem Gebiet, vor allem von den in religiösen Angelegenheiten von den Bulsa hochgeachteten Kasena und Tallensi, können für die neuere Zeit belegt werden. Vor einigen Jahrzehnten breitete sich der Kult eines neuen, von den Kasena entlehnten nabiuk-bogluk {vgl. S. 82} so stark aus, dass in manchen Gegenden des Bulsa-Landes dieser bogluk fast in {306} jedem Gehöft zu finden war. So schnell wie dieser Kult aufgenommen worden war, wurde er auch wieder aufgegeben. Als man die Wirkungslosigkeit dieses bogluk erkannte, wurden die Opfer weitgehend eingestellt, der bogluk verfiel oder wurde sogar aus dem Haus entfernt. In neuerer Zeit ist die Möglichkeit der kulturellen Beeinflussung durch moderne Kommunikations- und Transportmittel natürlich unermesslich gestiegen. Vor allem der kulturelle Einfluss der Akan-Völker auf die ethnischen Gruppen Nordghanas wäre einer Untersuchung wert. In dieser Arbeit konnte darauf hingewiesen werden, dass die kleine Akan-Narbe die Stammesnarben der Bulsa in neuerer Zeit immer mehr verdrängt und dass sich die in Südghana praktizierte männliche Zirkumzision bei den Bulsa auf dem Vormarsch befindet, während die Exzision an Bedeutung verloren hat. Einige Bulsa haben schon den Versuch unternommen, ihren toten Ahnen akpeteshi (Branntwein aus dem Saft der Ölpalme) zu opfern, wie es in Südghana üblich ist, und Akan-Namen treten in großer Zahl neben Bulsa-Namen auf, wenn auch bei der segrika bisher nur Bulsa-Namen gegeben werden.
Trotz großer Schwierigkeiten halte ich einen religionsethnologischen Vergleich der ethnischen Gruppen innerhalb Nordghanas für durchführbar und lohnenswert, da z.B. manche Riten in einigen Gruppen nur rudimentären Charakter haben und eine mögliche Deutung sich aus den Untersuchungen anderer Gruppen ergeben kann [Endnote 1a]. Allerdings gibt diese “Deutung” eher Auskunft über die Entstehung und ehemalige Funktion der Rite als über ihre Bedeutung in der Gesellschaft der Gegenwart. Leider können Vergleiche hier nur andeutungsweise durchgeführt werden, da sie nicht zum eigentlichen Anliegen dieser Arbeit gehören und auch die vorhandene Literatur zu wenig ethnographische Daten über Übergangsriten enthält.
Sinnvoll könnte man mit einer Gegenüberstellung wichtiger religiöser Termini einiger Gur-sprechenden Stämme Nordghanas beginnen. Eine solche Zusammenstellung religiöser Begriffe (terms used in religious observances) ist bereits von R.S. Rattray [Endnote 2] durchgeführt worden. Leider fehlen dort jedoch die entsprechenden Ausdrücke in Buli. Daher soll hier, auf Rattrays Tabelle aufbauend, noch einmal eine ähnliche Übersicht gegeben werden {S. 312}, die durch Angaben aus der neueren Literatur ergänzt wurde und durch Kürzungen und Erweiterungen stärker {307} auf die Thematik dieser Arbeit ausgerichtet wurde.
Schon bei einem flüchtigen Studium der Tabelle fällt die große Übereinstimmung der Termini in den Mole-Dagbane-Sprachen [Endnote 3] auf. In einigen Fällen ist es fraglich, ob von Rattray die äquivalente Bezeichnung in die Übersicht aufgenommen wurde. Unter der Rubrik shrine bringt er etwa für das “Loberu”: Tib-yiri [Endnote 4], von dem er selbst schreibt (S. 43), dass es möglicherweise “home of medicine” (Haus der Medizin) bedeutet. Diese Form kann wohl nicht sprachlich mit Wörtern wie boga, bogluk usw., deren Bedeutungsinhalt viel umfassender ist (vgl. englisch shrine), verglichen werden.
Sprachliche Erscheinungen, die wohl in einigen wenigen Fällen den Begriffen aus Rattrays Rubrik shrine inhaltlich oder sprachlich zugeordnet werden können, haben bei M.M. Delafosse [Endnote 5] zu weitreichenden Spekulationen über mögliche Sprachverwandtschaften geführt. Er geht von einer Untersuchung religiöser Begriffe der Mande Sprache (langue mandingue) aus und glaubt, dass fast alle religiösen Termini der Mande-Sprache ihre Entsprechungen in anderen Sudansprachen, ja sogar in anderen Sprachen Äquatorial-, Ost- und Südafrikas haben. Er schreibt (S. 37 1):

Aussi bien les termes employés en mandingue dans le domaine religieux ont-ils presque tous des correspondants exactement similaires dans les autres idiomes soudanais et dans les langues de l’Afrique équatoriale, orientale et méridionale, ces correspondants dérivant pour la plupart de racines communes à l’ensemble des parlers négro-africains.

Für einige Begriffe führt Delafosse auch Sprachvergleiche durch. In unserem Zusammenhang interessieren vor allem seine Ausführungen über den Mande Begriff boli, der unter inhaltlichen Gesichtspunkten dem Buli-Wort bogluk sehr nahe kommt. Ob eine Sprachverwandtschaft besteht, kann hier nicht mit Sicherheit entschieden werden, es muss jedoch angemerkt werden, dass in bogluk [‘bɔγluk, ‘bɔ:luk] -uk eine Endung ist, die nicht zur Wurzel gehört und dass g ein velarer Frikativlaut ist, der in dieser lautlichen Zusammensetzung nur sehr schwach zu hören ist. Den Begriff boli erklärt Delafosse folgendermaßen (S. 379) {308}:

C’est le mot boli qui sert à désigner toute représentation matérielle d’une divinité (statue ou masque), ainsi que tout objet dans lequel une divinité passe pour s’incarner volontiers ou plus simplement dans lequel elle aime à faire sa demeure …
Les âmes des ancêtres ont leurs boli, qui sont representés en particulier par les nombreuses statuettes funéraires répandues partout. Les divinités généralisées ont aussi les leurs, qui sont tantôt des représentations animales (crocodiles ou serpents en argile), tantôt même des animaux vivants…

Das Wort boli findet sich nach Delafosse in sehr vielen Sprachen Afrikas wieder (S. 379):

Citons en vaï gbori, en soussou béri, en samo béne, en songaï folle, en peul et en haoussa bori, en agni buru et bunu, en dahoméen vodu … en fang du Gabon mbole, etc.

Hier scheint mir Delafosse zu weit gegangen zu sein. Die Verwandtschaft der zitierten Ausdrücke ist weder vom Erscheinungsbild einsichtig, noch werden sprachliche Ableitungen durchgeführt oder auf solche in der Literatur verwiesen. Hinzu kommt, dass die aufgeführten Ethnien weder örtlich noch in kultureller Hinsicht eine engere Einheit bilden.
Erstrebenswerter als das Aufsuchen möglicher sprachlicher Übereinstimmungen bei fern voneinander liegenden Ethnien scheint mir in Hinblick auf die Fragestellung dieser Arbeit ein sprachlicher Vergleich der in der Tabelle auf S. 312 zitierten Termini untereinander zu sein.
R.S. Rattray sieht zwischen den verschiedenen Ausdrücken für englisch soothsayer (Wahrsager) und shrine (Buli: bogluk) eine sprachliche Verwandtschaft. Er schreibt (S. 44):

The root of the word used to describe this person [soothsayer] is generally the same as that found in the word for shrine.

E. Haaf [Endnote 6] vertritt für das Kusal in Anlehnung an Rattray eine ähnliche Auffassung. In Buli allein wäre eine solche Sprachverwandtschaft weniger offensichtlich (baano = Wahrsager, bogluk = “shrine”). Falls Rattray und Haaf recht haben, wäre möglicherweise im Buli-Wort baano ein g [γ] ausgefallen (vgl. Kusal ba’a). Für die Elimination eines [γ] lassen sich in Buli weitere Beispiele finden. Meistens bestehen beide {309} Aussprachemöglichkeiten (mit oder ohne γ) als Varianten nebeneinander [Endnote 7], z.B.:

bogluk: [‘bɔγluk] oder [ bɔ:luk]
doglie: (‘dɔγlie] oder [‘dɔ:lie]
dakogsa: [dakɔγsa] oder [dakɔ:sa]
ngankpagsa: [ŋankpaγsa] oder [ŋankpa:sa]

Es fällt auf, dass mit dem Ausfall des [γ] eine Dehnung des vorausgehenden Vokals eintritt. So könnte auch eventuell der lange Vokal in (Buli) baano [ba:nɔ] erklärt werden.
Ausgehend vom Buli-Wortschatz scheint mir auch eine sprachliche Verwandtschaft zwischen bogluk und bage (“sakrales Horn”) möglich zu sein. Wie bereits angedeutet (vgl. S. {172} Endnote 24) kann bage nur für ein sakrales Horn, dem (z.B. mit Erde gefüllt) geopfert wird oder das eine heilsame Wirkung hat (Namensgebungshorn), gebraucht werden, nicht jedoch für ein profanes Tierhorn (nyiili, Pl. nyiila). Es wurde auch bereits erwähnt {S. 172}, dass der ma-bage bei den Bulsa aus einem mit Erde gefüllten Tontopf besteht und man hier keine rechte Erklärung für das Wort bage finden kann, wenn man nicht eine über den Begriff “Horn” hinausgehende (frühere?) Bedeutung annimmt, die sich inhaltlich dem Begriff bogluk nähert.
Sprachvergleiche zwischen religiösen Termini könnten sicher, wenn sie auf wissenschaftlicher Grundlage durchgeführt werden, weitere wichtige Informationen zum Bedeutungsinhalt geben. Hier können sie nicht fortgeführt werden, obwohl Vermutungen bestehen bleiben, dass in der Buli-Sprache noch weitere Termini mit der Wurzel *bag– verwandt sind, wie z.B. das Verb baga (können, zwingen, Macht haben).
Linguistische Vergleiche enthalten die große Gefahr, dass man nach erwiesenen sprachlichen Übereinstimmungen auch auf eine inhaltliche Deckungsgleichheit der Begriffe schließt. Entlehnung eines Namens ohne den dazugehörigen Bedeutungsgehalt und Anwendung dieses Namens für einen anderen Sachverhalt oder Gegenstand können in der Praxis ebenso wenig ausgeschlossen werden wie eine nachträgliche Veränderung des Bedeutungsgehalts unter Beibehaltung des Namens. Aus ethnologischer Sicht sollte daher mit einem sprachlichen Vergleich stets ein Vergleich der Bedeutungsgehalte einhergehen {310} Weniger bestimmt kann gesagt werden, ob sich religionsethnographische Vergleiche lohnen, wenn eine sprachliche Übereinstimmung nicht vorliegt. Ist es etwa angebracht, die Kinder-kwara der Kasena [Endnote 8] ,mit den wen-bogluta der Bulsa zu vergleichen? Ich glaube, dass diese Frage bejaht werden muss, denn nur durch einen Vergleich kann sich herausstellen, ob Ähnlichkeiten nur auf Äußerlichkeiten beruhen oder ob eine innere Verwandtschaft auch ohne sprachliche Benennungsgleichheit besteht. Keineswegs sollte auch die Möglichkeit ausgeschlossen werden, dass religiöse Einrichtungen zweier Ethnien einer gemeinsamen Grundlage entwachsen sind oder voneinander entlehnt wurden, ohne dass man die ursprüngliche Bezeichnung beibehalten hat.
Ein eingehender Vergleich der Bulsa-Riten mit denen der Nachbarstämme muss einer späteren Arbeit vorbehalten bleiben. Hier sollen nur in einer Tabelle {S. 313f.} weiterführende Literaturhinweise gegeben werden und so auf einige Übereinstimmungen von Bulsa-Teilritualen mit denen anderer ethnischer Gruppen hingewiesen werden.
Ausgangspunkt für die Aufstellung waren die Riten der Bulsa. Große Ähnlichkeiten zwischen Riten und Vorstellungen anderer Gruppen, für die kein Beleg für die Bulsa vorliegt (z.B. pränatales Gespräch des persönlichen wen mit Naawen), wurden nicht aufgenommen.
Die Tabelle kann in der vorliegenden Form natürlich nichts über das Maß der Ähnlichkeit der betreffenden Riten aussagen. Sie hat nur einige ethnographische Werke auf Aussagen über Teilgebiete dieser Arbeit hin untersucht und hat einen Teil des Stoffes, bei dem ein Vergleich einsetzen könnte, gesichtet und geordnet.
Trotz dieser Unvollkommenheiten lassen sich doch wohl folgende Schlüsse aus der vorliegenden Tabelle ziehen:

1. Ein allgemeiner Vergleich und zusammenfassende Aussagen über Riten und Bräuche der ethnischen Gruppen Nordghanas können anhand der vorliegenden Literaturzeugnisse in einer recht unvollkommenen Weise gemacht werden. Weitere Feldforschungen, vor allem wohl über Beschneidungsriten, sind notwendig.
2. Das Material über Übergangsriten scheint bei den verschiedenen Gruppen in einem mehr oder weniger starken Maße vorhanden zu sein {311}. Für die Kusasi und Sisala (Isala) gibt wohl auch die neuere Literatur (E. Haaf; B. Grindal) etwas mehr Quellenmaterial her. Bei den Mamprussi, Dagomba und Kasena scheinen Forschungen über Übergangsriten von größerer Dringlichkeit zu sein.
3. Hauptquelle für vergleichende Betrachtungen dürfte immer noch das zweibändige Werk Rattrays über die Stämme des Aschanti Hinterlandes sein.

Bei der Ausarbeitung der Tabelle ergaben sich einige Schwierigkeiten. Gewöhnlich kann ein vollständiger ritueller Ablauf beim Übergang in einen anderen Lebensstatus nur schwer mit einem ähnlichen bei einem Nachbarstamm verglichen werden, ohne dass man Teilaspekte oder Teilrituale mit einander vergleicht. Hier ergibt sich die Frage, wie groß oder klein diese Einzelelemente sein dürfen, wenn sie sich für einen Vergleich eignen sollen, aber nicht der Gefahr einer Atomisierung verfallen sollen. Die Aussage “Die Sisala kennen ebenso wie die Bulsa eine mit Opfern und Riten verbundene Namensgebung” wäre noch recht inhaltsleer, da die Vergleichseinheit zu groß gewählt wurde. Wollte man den Schlag (mit dem Wahrsagerstock oder der Hand), den ein Kind bei der wen-piirika vom Wahrsager erhält, mit ähnlichen Schlägen bei einer Initiationsfeier des Stammes X. vergleichen, so müsste man sich den Vorwurf gefallen lassen, rituelle Abläufe in so kleine Einzelelemente aufgelöst und aus ihrem Zusammenhang gerissen zu haben, dass alle Vergleiche sehr fragwürdig werden.
Ich habe mich daher bemüht, in der vergleichenden Tabelle nur solche Teilstrukturen aufzunehmen, die noch eine klare Beziehung zum Ganzen erkennen lassen und selbst oft noch aus mehreren Einzelhandlungen bestehen. Sie sind auch in der Tabelle nur mit entsprechenden Teilstrukturen des gleichen Übergangsrituals einer anderen Ethnie in einer Rubrik zusammengestellt worden. Handlungen und Einstellungen, die sich als Selbstverständlichkeiten aus einer bestimmten Situation ergeben (Schonung der Mutter nach der Geburt, Opfer an einen neu geschaffenen bogluk), wurden ebenso ausgelassen wie Tatsachen, die für Nordghana und weite Teile Afrikas als bekannt gelten (z.B. Ahnenverehrung durch Opferhandlungen) {315}

VERGLEICHENDE ÜBERSICHT EINIGER RELIGIÖSER BEGRIFFE (nach 1978 vereinfacht)

VERGLEICH RITUELLER TEILSTRUKTUREN  I

VERGLEICH RITUELLER TEILSTRUKTUREN II

ANMERKUNGEN ZU DEN TABELLEN S. {312 – 314}

1. Abkürzungen der Literaturhinweise
Die Zahlen hinter den Großbuchstaben geben die Seitenzahlen an. In der Kolumne “Bulsa” beziehen sich diese Zahlen auf die hier vorliegende Arbeit.
Eingeklammerte Literaturhinweise deuten an, dass die Quelle zwar Hinweise zu dem entsprechenden Thema enthält, dass aber grundlegende Unterschiede bestehen, das Vorhandensein des zu vergleichenden Elements ausdrücklich bestritten wird oder die Angaben der Quelle zu ungenau sind, um sie hier eindeutig einordnen zu können. Fehlende Angaben (“weiße Felder”) in der Tabelle bedeuten nicht, dass es die betreffende Einrichtung in der betreffenden Ethnie nicht gibt, sondern nur, dass die Information hierüber in der Literatur fehlt oder nicht zugänglich war.
In der Übersicht der religiösen Begriffe {S. 312} beziehen sich Namen und Bezeichnungen ohne Literaturangaben (soweit es sich nicht um Buli Begriffe dieser Arbeit handelt) auf Rattray (The Tribes of the Ashanti Hinterland), S. 45.

{315-319} Die Großbuchstaben der Literaturhinweise haben folgende Bedeutung:

AI bzw. AII = R.P. Alexandre, La Langue More, 2 Bde, Dakar, 1953.

D = K. Dittmer: Die sakralen Häuptlinge der Gurunsi im Obervolta-Gebiet, Hamburg 1961.

FD = M. Fortes: The Dynamics of Clanship among the Tallensi, London, New York, Toronto, 1945.

FKF= F. Kröger und B. Baluri Saibu: First Notes on Koma Culture… Münster u.a. 2010,

FW = M. Fortes: The Web of Kinship among the Tallensi, 3. Aufl. London, 1967.

FN = M. Fortes: ‘Names among the Tallensi of the Gold Coast,’ Afrikanistische Studien, 26 (Berlin, 1955), S. 337-349.

FI = R. Fisch: ‘Die Dagomba’, Baessler Archiv, 3 (1912/13), S. 132 – 164.

FIS = R. Fisch: Dagbane-Sprachproben, 8. Beiheft zum Jahrbuch der Hamburgischen Wissenschaftlichen Anstalten, XXX, 1912, Hamburg, 1913.

FIW = R. Fisch: ‘Wörtersammlung Dagbane – Deutsch, Mitt. Sem. für Orientalische Sprachen, Jg. 16 (1913), 3. Abt., S. 113 – 214.

G = J. Goody: The Social Organisation of the LoWiili, London, 1967.

GB = J. Goody: The Myth of the Bagre, Oxford, 1972.

GH = J. Goody: ‘Sprachproben aus zwölf Sprachen des Togohinterlandes,’ Mitt. Seminar für Orientalische Sprachen, Jg. 14 (1911), 3. Abt., S. 227 – 239.

GR = B. Grindal: Growing up in Two Worlds, New York, Chicago u.a. 1972.

H = E. Haaf: Die Kusase, Stuttgart, 1967.

HI = V.M. Hien und J. Hebert: ‘Prénoms theophores en pays dagara’. Anthropos, 63/64 (1968/69), S. 566 – 71.

LK = Language Guide: Kasem Edition, Bureau of Ghana Languages, Accra (Second Edition), 1967.

LD = Language Guide: Dagbani Version, Bureau of Ghana Languages, Accra (Second Edition), 1968.

NAD = Naden, Tony: Première not sur le Konni. Journal of West African Languages XVI, 2 (1986), 76-112.

OP = Chr. Oppong: Growing up in Dagbon, Accra-Tema, 1973.

R = R.S. Rattray: The Tribes of the Ashanti Hinterland, 2 Bde., Oxford, 1969.

RP = E.L. Rapp: Die Gurenne-Sprache in Nordghana, Leipzig, 1966.

SW = M. Swadesh u.a.: ‘A Preliminary Glottochronology of Gur Languages, Journal of West African Languages, 3,2 (1966), S. 27 – 65.

Z = J. Zwernemann: Die Erde in Vorstellungswelt und Kultpraktiken der sudanischen Völker, Berlin, 1968 (Neudruck).

ZN = J. Zwernemann: ‘Personennamen der Kasena’, Afrika und Übersee, 47 (1963), S. 133 – 142.

ZA = A. Zajaczkowski: ‘Dagomba, Kasena-Nankani and Kusasi of Northern Ghana,’ Africana Bulletin, 6 (1967), S. 43 – 56.

2. Die rituellen Teilstrukturen

SCHWANGERSCHAFT (S)
S 1 Die (erste) Schwangerschaft einer Frau wird in den ersten Monaten geheim halten und darf besonders der Schwangeren gegenüber nicht erwähnt werden.

S 2 Durch “Wasserschütten” wird die Schwangerschaft bekannt gemacht und werden Verbote aufgehoben {317}.

S 3 Die Schwangere erhält (bei der “Bekanntmachung”) eine besondere (Hüft-) Schnur.

S 4 Bei der “Bekanntmachung” spielt eine Frau aus der Linie des Gatten (oft Schwester des Gatten) eine besondere Rolle.

S 5 Nach der “Bekanntmachung” darf die Schwangere beschimpft oder verspottet werden (Scherzverhältnis?)

S 6 Während der Schwangerschaft sollen keine Zahlungen an das Elternhaus der Schwangeren entrichtet werden.

GEBURT (G)

G 1 Eine schwere Geburt oder andere Komplikationen (z.B. Tod des Kindes) beruhen auf einer Schuld der Gebärenden. Abhilfe: Bekenntnis und Opfer an die Ahnen.

G 2 Die Plazenta wird in einem (Ton-) Topf (2 Tontöpfen, 2 Topfhälften) im Abfallhaufen begraben.

G 3 Die abgefallene Nabelschnur wird (oft in einer Nussschale) in der Innenwand des Wohnraums der Mutter eingemauert.

G 4 Das neugeborene Kind wird in den ersten Lebenstagen als Fremdling oder nichtmenschliches Wesen bezeichnet (vgl. N 4).

G 5 Ausführung des Kindes und/oder der Mutter nach 3 (Junge) oder 4 (Mädchen) Tagen.

G 6 Während der Stillzeit (2-3 Jahre) soll die Mutter keinen Geschlechtsverkehr haben (eine neue Geburt zu dieser Zeit ist unerwünscht).

G 7 Zwillinge werden abgelehnt und/oder bedürfen einer besonderen Behandlung.

G 8 Bestimmte körperliche Eigenarten des Kindes (Geburt mit schon vorhandenen Zähnen, Kopfhaar usw.) und Missbildungen lassen auf Geistergeburten (Buli: kikita) schließen und (oder) bedürfen einer besonderen Behandlung (früher oft getötet).

G 9 Kleinkinder können leicht der gleichen Mutter wiedergeboren werden.

G 10 Bei häufigen Fehlgeburten und Säuglingssterblichkeit werden Verstümmelungen am Kleinkind vorgenommen.

G 11 Nach einer (ersten) Fehlgeburt oder nach frühem Tod des Kleinkindes werden den Eltern die Haare geschoren.

G 12 Tote Kleinkinder (meistens Frühgeburten oder Totgeburten) werden im Abfallhaufen begraben {318}.

G 13 Tote Kleinkinder werden an einem Fußpfad begraben.

G 14 Tote Kleinkinder werden hinter dem Gehöft oder an der Außenmauer des Gehöfts begraben.

G 15 Stirbt eine schwangere Frau, wird ihr der Embryo entnommen.

G 16 Stirbt eine schwangere Frau, so erhält sie keine ordentliche Totenfeier (wird oft im Busch begraben).

NAMENSGEBUNG UND NAMEN (N)

N 1 Anlass der Namensgebung ist eine Erziehungsschwierigkeit, Unruhe oder Krankheit des Kindes.

N 2 Das Kind wird einem Schutzgeist (Wurzel *seg oder ähnlich) dargebracht oder nach einem Schutzgeist benannt.

N 3 Der Wahrsager ermittelt den Schutzgeist oder einen reinkarnierten Ahnen.

N 4 Bis zur offiziellen Namensgebung trägt das Kind einen vorläufigen Namen: Sana, Saando, Saanpaga, Sanpan, Asanpan, Ajampan, Anpan u.ä.

N 5 Nach vorausgehenden Fehlgeburten erhält das Kind den Namen “Sklave” oder wird nach einem “Sklavenstamm” benannt (z.B. Kantussi, Mossi, Haussa u.a.).

WIN, YIN… (W)

W 1 Das (persönliche) wen ist schon vor der Geburt vorhanden.

W 2 Das wen (eine auf eine Person ausgerichtete übernatürliche Kraft) steigt vom Himmel herab.

W 3 Das wen erhält eine Opferstätte aus Erde (als Fundament, “Altar”).

W 4 Der “Erdaltar” erhält einen Stein.

W 5 wen-Opferstätten der (toten, männlichen) Ahnen stehen vor dem Gehöft.

W 6 Man opfert auch den wena weiblicher Ahnen.

W 7 Weibliche Ahnen-wena werden aus der Patrilinie dieser Ahninnen (in der Form von Erde) geholt (Ahnin ist gewöhnlich die MuMu oder VaMuMu des Veranlassers der Überführung).

W 8 Die Ausführende der Überführungsriten (W 7) darf auf dem ganzen Weg nicht sprechen {319}.

BESCHNEIDUNGEN

B1 Weibliche Beschneidung vorhanden (+) oder nicht (-)

B2 Alter der beschnittenen Mädchen

B3 Männliche Beschneidung vorhanden (+) oder nicht (-)

WERBUNG UND HEIRAT (H)

H 1 Bei der Werbung sind für die Bewerber Besuche im Haus der Braut (mit kleinen Geschenken) vorgeschrieben.

H 2 Wird bei Hausbesuchen im Gehöft der Braut gerade eine Matte geflochten oder Schibutter hergestellt, so gilt dies als schlechtes Zeichen.

H 3 Ein Vermittler wird für finanzielle Regelungen eingeschaltet. Er stammt meistens aus der Sektion des Bräutigams, hat aber verwandtschaftliche Bindungen zur Sektion der Braut.

H 4 Heirat kann durch die Eltern arrangiert werden (auch wenn die Kinder noch sehr jung sind).

H 5 “Entführung” der Braut (elopement und marriage by capture).

H 6 Brüder der Braut besuchen das Haus des Bräutigams und erhalten einen Hund (evtl. anderes Tier).

H 7 Die Brüder der Braut können im Hause des Bräutigams ungehemmt Forderungen stellen (Verhalten ist institutionalisiert).

H 8 Der Gatte verrichtet nach der Hochzeit Feldarbeit für die Schwiegereltern (z.T. jährlich).

H 9 Nach einem Ehebruch muss die schuldige Frau bekennen (z.B. ihre eigene Schuld und den Namen des Liebhabers).

H 10 (Ehebruch:) Ein Huhn wird bei den Versöhnungsriten getötet.

H 11 Cicisbeismus: Der Gatte gestattet seiner Frau Sexualverkehr mit einem Liebhaber. Die Kinder dieser Verbindung gehören dem rechtmäßigen Gatten.

H 12 “Platonische” Freundschaft einer verheirateten Frau mit einem anderen Mann (Buli: pok-nong-Verhältnis ).

H 13 Eine Scheidung wird gewöhnlich ohne formelle Scheidungszeremonie vollzogen. Die Frau wird nach Hause geschickt oder verlässt den Gatten auf eigenem Wunsch.

H 14 Eine Witwe soll wieder in die Lineage des verstorbenen Gatten heiraten.

H 15 Söhne dürfen Frauen des Vaters, soweit es sich nicht um die eigene Mutter handelt, nach dem Tod und der Totengedenkfeier des Vaters heiraten {320}.

 

3. FUNKTION DER ÜBERGANGSRITEN

Wie oben bereits angedeutet wurde {S. 304f.}, können die Bulsa-Riten nicht nur mit ähnlichen Riten von Nachbargruppen verglichen und in einen größeren religionsethnologischen Rahmen gestellt werden, sondern auch auf ihren Funktionswert in der Sozialordnung der Bulsa hin untersucht werden. Hier wieder bieten sich mehrere Wege an.
So könnten Interdependenzen und Korrelationen zwischen den hier behandelten Riten und anderen Einzelstrukturen der Gesamtkultur der Bulsa erforscht werden oder wenigstens Aussagen und Ergebnisse, die durch Untersuchungen anderer Autoren bei anderen ethnischen Gruppen gewonnen wurden, auf ihre Gültigkeit bei den Bulsa hin untersucht werden.
Judith Brown [Endnote 9] stellt sich in einem Aufsatz die Frage, warum weibliche Initiationsriten in einigen Gesellschaften praktiziert werden, in anderen jedoch nicht. Fußend auf Murdocks “World Ethnographic Sample” untersucht sie 75 Gesellschaften aus allen Teilen der Erde auf das Vorhandensein von weiblichen Initiationsriten, die sie folgendermaßen definiert:

…it (a female initiation rite) consists of one or more prescribed ceremonial events, mandatory for all girls of a given society, and celebrated between their eighth and twentieth years. The rite may be a cultural elaboration of menarche, but it should not include betrothal or marriage customs.

Nach dieser Definition müssten auch die Exzisionsriten der Bulsa zu den “female initiation rites” gezählt werden, wenn auch die Definitionsbedingung “mandatory for all girls” in neuster Zeit nicht mehr voll zutrifft. J. Brown kommt in ihrer Untersuchung zu folgenden Schlüssen (S. 849 f.):

First, female initiation rites occur in those societies in which the young girl does not leave the domestic unit of her parents after marriage. As she spends her adult life among the same {321} people and in the same setting as her childhood, the rite represents a special measure taken to proclaim her changed status when she reaches adulthood.
Second, those few female initiation rites which subject the initiate to extreme pain are observed in those societies in which conditions in infancy and in childhood result in a conflict of sex identity …
Third, female initiation rites are found in those societies in which women make a notable contribution to subsistence activities. Because of her future importance to the life of the society, the young girl is given special assurance of her competence through the rite.

Die erste Schlussfolgerung trifft auf die Bulsa in keiner Weise zu, denn für diese gilt das Prinzip der Virilokalität. Die Voraussetzungen für J. Browns zweite Behauptung sind auch bei den Bulsa gegeben. Auch in der polygynen Bulsa-Gesellschaft wächst ein kleines Mädchen vor allem in der unmittelbaren Nähe der Mutter auf, hat seinen Schlafplatz auf der Matte der Mutter und wird sich mit dieser identifizieren, ihr nacheifern und sie um ihren Status beneiden [Endnote 10].
Nach einiger Zeit treten jedoch einschneidende Veränderungen auf: das kleine Mädchen erlebt die Macht und den Einfluss des Vater und/oder des yeri-nyono. J. Brown schreibt über diese Veränderungen (S. 843):

Thus we see that when the young girl has experienced an exclusive mother-child sleeping arrangement, which fosters identification with the male role, conditions for identification are confusing. lt is to these circumstances that the concept of “conflict of sex identity” applies. And it is in societies characterized by such child rearing conditions that we would predict female initiation rites that inflict extreme pain.

Bezieht man diese Aussagen auf die Bulsa, so bleibt es zumindest sehr fraglich, ob sich ein kleines Bulsa-Mädchen in einem solchen Maße mit der männlichen Rolle identifiziert, dass ein “conflict of sex identity” entsteht. Der enge Kontakt zur Mutter bleibt in der ganzen Kindheit für das Mädchen bestehen, während der Junge mehr und mehr unter den {322} Einfluss des Vaters gerät. Die Tochter lernt von ihrer Mutter die Fähigkeiten, die sie später als Frau beherrschen muss. Konflikte der Geschlechtsidentität kommen heute wohl höchstens bei Hirtenmädchen vor, die eine Rolle erlernen müssen, die früher fast nur den Jungen vorbehalten war. (Viehhaltung gehört zum Aufgabenbereich des Mannes, und auch die Einschätzung der Persönlichkeit nach den Fähigkeiten im Ringkampf ist eher charakteristisch für die Lebenseinstellung der Männer.) Mit den Exzisionsriten kann aber die Hirtentätigkeit der Mädchen nicht in Verbindung gebracht werden, denn erst seitdem viele Jungen die Schule besuchen, dringen Mädchen in größerer Zahl in die Hirtengruppe ein.
J. Browns dritte Schlussfolgerung, in der weibliche Initiationsriten als typisch für solche Gesellschaften bezeichnet werden, in denen die Frau wesentlich zum Lebensunterhalt der Familie beiträgt, kann auch nur mit starken Einschränkungen als für die Bulsa als gültig bezeichnet werden, denn es ist fraglich, wie weit der Begriff “notable contribution” aufgefasst werden soll. Dass die meisten Bulsa-Frauen ihren Teil zum Unterhalt etwa ihrer eigenen Kinder beitragen und dadurch ihren Mann oder den Haushaltsvorstand entlasten, steht außer Frage. Die verheiratete Frau kann ein Stück Land bearbeiten, das ihr etwa vom yeri-nyono zugewiesen wurde, und sie kann durch Töpferei oder Markthandel einen willkommenen Nebenverdienst erzielen. Dem Manne (yeri-nyono) untersteht jedoch die Organisation der Viehzucht und des Feldanbaus, wenn auch die Frau wieder bestimmte Aufgaben übernehmen muss. Die Hauptlast der Feldarbeit und der Sorge für den Unterhalt der Familie liegt jedenfalls nicht auf der Frau.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass J. Browns Ergebnisse auf die Gesellschaft der Bulsa weitgehend nicht zutreffen. Wenn ich sie richtig verstanden habe, wollte sie auch keine Gesetze konstatieren, die ausnahmslos Anwendung finden, sondern nur durch Auswertung ethnographischer Daten eines Samples von 75 Gesellschaften gewisse Tendenzen herausfinden. Wie ihre Tabellen zeigen, gibt es eine recht große Zahl “patrilokaler” (virilokaler) Gesellschaften (z.B. die Mossi), in denen weibliche Initiationsriten praktiziert werden.
Für Nordghana sind z.B. nach R.S. Rattray Exzisionen während {323} oder kurz vor der Pubertät bei den Kasena, Nankanse (Gurensi) und bei einigen durch die Mamprussi beeinflussten Kusasi belegt [Endnote 11]. Während die Dagaba (Dagarti), Wala, Isala (Sisala), Vagala und Fera (Awuna) ihre Mädchen kurz nach der Geburt beschneiden lassen, die Lober (Lobi) die weibliche Exzision an 5-6jährigen Mädchen ausüben (Rattray, S. 439), kennen die Namnam, Tallensi, Dagomba und Mamprussi die weibliche Beschneidung nicht (Rattray, S. 167). In allen erwähnten ethnischen Gruppen müsste aber meines Wissens nach ein “conflict of sex identity” im Sinne J. Browns bestehen, da sich das Leben des weiblichen Kleinkindes in einer polygyn erweiterten Familie abspielt, in der die Mutter sich in den ersten Lebensjahren ihrer Tochter fast ausschließlich um diese kümmert, während später die Tochter spürt, dass ein Mann (z.B. ein klassifikatorischer Vater) die beherrschende Persönlichkeit des Gesamthaushaltes ist.
Ist bisher anhand eines Beispiels von J. Brown die Möglichkeit aufgezeigt worden, rituelle Erscheinungsformen (z.B. Initiationsriten) mit anderen Strukturelementen einer Gesellschaft (Patrilokalität, “conflict of sex identity”, wirtschaftliche Bedeutsamkeit einer Personengruppe) in einen Zusammenhang zu bringen, so sollen nun – ebenfalls nur andeutungsweise und in einzelnen Beispielen – die Bulsa-Riten oder Teilstrukturen dieser Riten untereinander auf ihre Bedeutung hin verglichen werden, um dadurch vielleicht Aussagen über ihren Funktionswert in der sozialen Gesamtorganisation der Bulsa machen zu können.
Ich schließe mich ganz A.W. Radcliffe-Brown [Endnote 12] an, wenn er (für die Andamanen) schreibt:

The explanation of each single custom is provided by showing what is its relation to the other customs of the Andamanese and to their general system of ideas and sentiments.

Unsere Untersuchung muss daher noch einmal bei den Übergangsriten der Bulsa beginnen, und da ihre Funktion ganz allgemein untersucht werden soll, kann die erste Frage lauten: Was haben alle oder viele Bulsa Übergangsriten gemeinsam? Neben den nach van Gennep allen Übergangsriten gemeinsamen Kriterien wie séperation (Absonderung, Trennung), marge (Übergang, Zwischenstufe) und agrégation (Aufnahme, Neueinordnung) [Endnote 13] fällt es auf, dass bei den Bulsa auch bestimmte {324} rituelle Teilstrukturen in den Übergangsriten wiederholt auftreten. Wiederum schließe ich mich A.W. Radcliffe-Brown an, wenn er folgende Vermutungen äußert:

The assumption is made that when the same or a similar custom is practised on different occasions it has the same or similar meaning in all of them (S. 235).

Folgende Teilstrukturen treten bei mehreren Übergangsriten der Bulsa auf [Endnote 14]:

1. Verschiedene Arten von Tabus (kisika)

a) Sichttabus bei Schwangerschaft, Geburt, wen-piirika, Exzision
b) Sprechtabus bei Exzision, ma-bage-Riten; vgl. auch wen-piirika und Schwangerschaft (Verbot, über eine bestimmte Sache zu sprechen)
c) Nahrungstabus bei Schwangerschaft, Geburt, Nabelbeschneidung, Exzision
d) Verhaltenstabus bei Schwangerschaft, Geburt, Namensgebung, wen-piirika u.a.
e) Verbot, sich vor einer Aktivität zu waschen: Wahrsager bei wen-Riten,
f) Der Beschneider von Nabelschnitten darf vor der Operation nichts essen oder trinken und sich auch den Mund nicht ausspülen.

2. Vorgeschriebene Farben mit symbolischem Charakter

a) Eine schwarze oder dunkle (sobluk) Farbe ist für folgende Dinge vorgesehen:
Asche bei pobsika-Riten (Ausnahme: Exzisions-pobsika),
mehrere Arten von Medizin (meistens aus dunkler Asche und Schibutter),
eine Kalebasse bei der poi-nyatika,
Kalebassenhelm der Schmiede (Hirtenjungen haben einen ungefärbten Kalebassenhelm),
Opfertiere für den “Normalfall”,
Hüftschnur für die “Alltags”-Blätterkleidung (hat angeblich die gleiche Bedeutung wie die schwarz-lila Schnur).

b) Von weißer oder heller (peeluk) Farbe sollen folgende Dinge sein:
pobsika-Asche nach Exzision,
Asche, die vor der Ernte der Späthirse an allen vier Ecken des Hirsefeldes in einem Häufchen auf den Boden gelegt wird,
Asche, die man einem verstorbenen Kleinkind auf das Haupt legt {325}, wenn der Mutter vorher schon mehrere Kinder bei der Geburt oder kurz nach der Geburt gestorben sind,
Exzisionsfasern als Ersatzkleidung,
der Hirsestab (ngabiik kinkari), den Mädchen nach der Exzision erhalten (er darf keine dunklen Brandspuren aufweisen), ein Huhn bei der Bezahlung an den Beschneider, wenn das Mädchen schon Sexualverkehr hatte,
ein kleines Huhn bei der wen-piirika,
Opfertiere in Ausnahmefällen (trifft besonders auf Hühner zu), z.B. oft für juik-bogluta (juik, Pl. juisa; dt. Mungo, engl. mongoose) oder bestimmte jadoksa (alle jadoksa geben die Farbe des gewünschten Opfertieres an), auch für Tötungen bei vorausgehenden, anrüchigen Vergehen (z.B. kabong),
Hüftschnüre einer Frau, wenn diese mehrere Fehlgeburten hatte, Dreieckshose (golung, Pl. golunta), in der Jungen beerdigt werden, wenn die Mutter nach ihnen schon ein anderes Kind geboren hat (erwachsene Männer können im Grab auch gestreifte Kleidung tragen).
c) Ein roter oder rotbrauner Farbton (moanung) ist für bestimmte Körperbemalungen (vgl. S. 136 f.) vorgeschrieben.
Eine rot-schwarze Hüftschnur wird der Schwangeren nach der poi-nyatika umgelegt, während eine lila-schwarze Hüftschnur getragen wird, wenn keine andere Farbe vorgeschrieben ist [Endnote 15]
Eine Schlafmatte muss immer einige rote (oder lila) (moanung) gefärbte Halme enthalten.
d) Als weitere “Farbe” der Bulsa wird mitunter ngmengmeruk (Pl. ngmengmeruta) in der Bedeutung “vielfarbig, bunt” genannt. Im rituellen Leben scheint sie jedoch keine Rolle zu spielen. Mehrfarbige Hühner können gewöhnlich an Stelle dunkler Hühner geopfert werden.
e) lila, violet (lilac, violet, nalik, peeuk). L. Amoak nannte mir “lilac” als weitere Farbe der Bulsa. Sie spielt jedoch rituell als selbständige Farbe keine Rolle und ist auch vielen anderen Informanten nicht bekannt. Für einen lila Farbton gebrauchen die meisten Bulsa die Bezeichnung moaning.

3. Vorgeschriebene Zahlenwerte und Mengen (Zahlensymbolik):
Die Verbindung der Zahl 3 mit dem männlichen, 4 mit dem weiblichen Geschlecht tritt bei den Bulsa so häufig auf, dass hier (a-f) nur eine kleine Auswahl gegeben werden kann {326}:

a) Schwangerschaft und Geburt: der Schwangeren wird eine vierfache (?) Hüftschnur umgelegt.
Die Ausführung des Kindes erfolgt am 3. bzw. 4. Tag.

b) Pobsika: 3 bzw. 4maliges (?) Ascheblasen

c) wen-Riten:
3 bzw. 4 Stockschläge des Wahrsagers bei der wen-piirika.
3 bzw. 4 Tage nach der wen-piirika: erstes Opfer an das wen durch den neuen Besitzer.
3 bzw. 4 Kauri-Schnecken als Schmuck eines bogluk.
Eine Töpferin fordert für einen puuk-Topf 40 Pesewas. Das Geld wird dreimal auf den Topf gelegt, beim vierten Mal nimmt es die Töpferin an sich.

d) Narben: häufig 3 bzw. 4 Narben für Jungen bzw. Mädchen (Stammesnarben und bia-kaasung-Narben)

e) Exzision:
viermaliges Umkreisen des Körpers durch die gaasika-Kalebasse, viermaliges Ausspucken des Hirsewassers (gaasika),
häufig Isolierung des Mädchens bis zum 4. Tag nach der Beschneidung,
erst beim vierten Mal darf das Wasser den Hirsestab forttragen {vgl. S. 225}.

f) Werbung und Hochzeit:
vier einzelne Pesewa-Münzen als Teil der nansiung-lika-Zahlungen, Sexualverkehr des Brautpaares ist erst am 4. Tag nach der Heimführung der Braut erlaubt.

4. Pobsika (Ascheblasen)

a) nach der Geburt,
b) für bestimmte Kinder bei Neumond {siehe S. …},
c) vor der wen-piirika,
d) nach der Exzision,
e) Handwerker dürfen nach Sonnenuntergang nicht mehr weiter arbeiten. Wenn sie es doch wünschen, müssen sie mit der Sonne Asche blasen. Andernfalls können sie erblinden.
f) In Gbedema musste der Hausherr vor dem Opfer an einen juik-Schrein mit einer Hündin Asche blasen (pobsi), die gerade Junge geboren hat. Der Zusammenhang mit dem juik-Opfer besteht wohl darin, dass der Hund ein Feind des juik-Tieres (Mungo) ist. Der Hund befand sich in einem durch eine Matte abgeschlossenen Raum. Der Opferer hielt sich selbst die Augen zu und blies Asche durch einen kleinen Spalt in den Raum. Die Augen des Hundes waren geöffnet. Eine Unterlassung der pobsika hätte zum Tod des Hundes geführt, nicht zum Tod des Hausherrn, der durch Medizin geschützt war.
g) (I. Heermann, 1981: 76) vor dem Anbau und der Ernte von Feldfrüchten (keine weitere Bestätigung)

5. Gaasika, eine rituelle Mahlzeit

a) nach einer Fehlgeburt,
b) nach einer Exzision,
c) nach einem Schlangenbiss,
d) nur bei den Nordbulsa: nach der Rückkehr von einer langen Reise {327}
e) nach dem Neubau eines Hauses,
f) nach der Tötung eines großen Buschtieres (z.B. bei der Jagd),
g) nach der Tötung eines Menschen (z.B. im Krieg).

6. Ponika, die Rasur des Kopfhaars

a) nach der ersten Fehlgeburt,
b) nach dem Tod des Gatten,
c) nach der Exzision.

7. Überschütten einer Person mit Wasser

a) bei der poi-nyatika,
b) nach der Geburt (Mutter und Kind),
c) bei der Namensgebung,
d) nach der Exzision.
f) beim Bad der Brauleute
g) bei einer geschiedenen Frau, die in das Gehöft ihres Gatten zurückkehrt.
h) bei Sterbenden (wohl eher zur Erleichterung von Schmerzen)

8. piirika (siehe fn 1981,41b)

a) wen piirika
b) vor einer Wahrsagersitzung mit anderer Bedeutung [Endnote 14a]

Ad 1: Tabus
Die Einhaltung von Tabus löst die betroffene Person aus ihren normalen Lebensgewohnheiten und aus dem alltäglichen Personenkreis, um sie vor möglichen Gefahren zu schützen. Hierbei denkt man vielleicht in erster Linie an überirdische Kräfte, aber auch durch eine falsche Ernährung, durch Streit in einem Wortwechsel (vgl. “Sprechtabu”) usw. ist die betroffene Person gefährdet.
Eine weitere soziale und vielleicht sogar wirtschaftliche Bedeutung kann den Tabus zukommen. Wie bereits beschrieben, begleiten Riten den Übergang einer Person in einen anderen Status. Eine Frau tritt durch ihre erste Schwangerschaft und durch die Geburt ihres ersten Kindes in einen höheren sozialen Status, nämlich den der Mutter. Mit dieser neuen Position werden etliche soziale und wirtschaftliche Verbindlichkeiten geändert [Endnote 15a]. Sind die vorgeschriebenen Geschenke an das Elternhaus der Frau noch nicht vollständig entrichtet, so müssen nach der Geburt höhere Zahlungen geleistet werden. Für die Zeit der Schwangerschaft könnte eine Unsicherheit über die Höhe der Entrichtungen eintreten. Die Tabuvorschriften verbieten hier alle Zahlungen und Geschenke und beugen damit möglichen Konflikten vor.

Ad 2: Farbsymbolik [Endnote 15b]
Es besteht keine Zweifel darüber, dass Farben im rituellen Geschehen für die Bulsa einen symbolischen Wert haben können. Fragen nach einer {328} für alle Erscheinungsformen gültigen Deutung konnten aber entweder von meinen Informanten nicht beantwortet werden, oder ihre simplifizierenden Aussagen (weiß = Freude und Glück; schwarz = Unheil) halten einer Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand. Es dürfte wohl sicher sein, dass die Farben als wertambivalent aufgefasst werden müssen.
So hat E. Haaf (1967)  [Endnote 15c] für die Kusasi festgestellt, dass die schwarze Farbe sowohl Reichtum als auch Unheil bedeuten kann, die rote Farbe Anstrengung (S. 144) oder, in Analogie zum Feuer, Schmerz und Krankheit (S. 151). Weiß ist nach Haaf für die Kusasi ein Symbol der Freude. Ähnliche Deutungen sind mir von Bulsa-Informanten für einzelne Erklärungen vorgeschriebener Farben gegeben worden, nur eine Deutung der schwarzen Farbe als Reichtum ist mir nicht begegnet. Bei einer Deutung der Gegenstände eines Wahrsagerbeutels (baan-yui) wurde mir für einen Fetzen roten Tuches die Erklärung gegeben, dieser rote Stoff symbolisiere das Rote im Auge und weise auf kommenden Ärger und Zorn hin.
Keineswegs aber kann die Farbe Weiß (peeluk) durchweg als Symbol der Freude, Reinheit, Offenheit, Lauterkeit usw. gedeutet werden. Im sprachlichen Bereich trifft diese Erklärung noch am ehesten zu, denn peeluk wird oft mit “freudig, aufrichtig, ehrlich, klar” übersetzt, wie aus den folgenden Beispielen hervorgeht:

nyiam peeluk = klares Wasser
sunum peeluk = Freundlichkeit (wörtlich “helles Gemüt”)
vgl. peenti (v.) = offenbaren, erklären, klar machen, hell werden
wa po peenti = er ist zufrieden
po peentika = Glück

Wie jedoch die oben aufgeführten Beispiele aus dem Ritualleben für symbolhaft gebrauchte weiße oder helle Farbtöne zeigen, verbinden sich außergewöhnliche oder sogar besonders verwerfliche Dinge (Sexualverkehr vor der Beschneidung; kabong) sehr häufig mit der Farbe Weiß. Eine allgemeine Deutung der Farbsymbole bei den Bulsa wird dadurch erschwert, dass für ähnliche Situationen unterschiedliche Farben vorgeschrieben sein können. Nach einem Ehebruch (kabong) müssen die Ehebrecher ein schwarzes Huhn töten {vgl. S. 285f.}. Wenn jedoch ein Mann die Frau eines Angehörigen der gleichen Klansektion geheiratet hat, so kann dieses Vergehen (kabong) nur durch Opfer weißer Tiere gesühnt {329}werden. Opfer dunkler Hühner werden als das Normale dargestellt, vielleicht aber nur deshalb, weil bei den Bulsa die meisten Hühner dunkel sind. Personen in einem gefährdeten Zustand, z.B. Mädchen nach ihrer Beschneidung, Eltern nach dem Tod ihres ersten Kindes usw., dürfen jedoch keine schwarzen Dinge essen, und “Schwarz” ist hier schon nicht mehr ein reiner Farbwert (alle Ziegen, turi-Bohnen usw. gelten als “schwarz”), sondern steht stellvertretend für die Nahrungsmittel, die der betreffenden Person Schaden bringen könnten.
Abschließend muss festgestellt werden, dass die Frage der Farbsymbolik bei den Bulsa hier noch nicht völlig geklärt werden konnte und wohl noch einer genaueren Untersuchung bedarf.

Ad 3: Zahlensymbolik (einschließlich männlich-weiblich, rechts-links, hoch-tief)
Die Zuordnung der Triade zum männlichen Geschlecht, der Tetrade zum weiblichen Geschlecht ist nicht nur in Westafrika weit verbreitet [Endnote 16], es mangelt auch nicht an Spekulationen und Deutungsversuchen [Endnote 17], warum in weiten Teilen der Erde zu verschiedenen Zeiten Menschen dem männlichen Prinzip ungerade Zahlen (häufig 3), dem weiblichen Prinzip gerade Zahlen (häufig 4) zugeordnet haben.
Die Bulsa konnten mir keine Erklärung für eine solche Zuordnung geben. E. Haaf (1967) [Endnote 18] erhielt bei den Kusasi folgende Auskunft:

WIDNAM hat jedem Menschen besondere Schutzgeister, KlKYIRIG, Pl. KIKYIRIS, beigegeben. Ursprünglich erachtete er drei dieser Wesen für jedermann als ausreichend. Ein KIKYIRIS sei bestimmt, das Leben zu bringen (den WIN auf die Erde zu begleiten), einer, das Leben zu beschützen, und der dritte, das Leben zu nehmen. Die Frauen waren damit jedoch nicht zufrieden und baten unter Hinweis auf ihre zusätzliche Aufgabe bei Schwangerschaft und Geburt um einen weiteren Schutzgeist. WIDNAM war damit einverstanden, und so erhielten die Männer drei, die Frauen vier solcher KIKYRIS. Daher kommt es, dass allgemein bei den Kusase dem Mann die Zahl drei, der Frau die Zahl vier zugeordnet ist [Endnote 18a].

Die erwähnten kikyiris entsprechen wohl eher den kikerisa (Sing. kikerik) der Bulsa [Endnote 19], nicht den kikita (sing. kikiruk), welche selbst gewöhnlich {330} eine menschliche Gestalt haben (vgl. S. 56 ff.). Nach meinen Erkundigungen (vor 1974) können nur kikerisa gewisse Schutzgeistfunktionen für Menschen übernehmen, die sich aber eher auf ein ganzes Gehöft als auf eine einzelne Person erstrecken. Haafs Erklärungen für die Kusasi können also für die Bulsa nicht zutreffen [Endnote 19a].
Für eine Zuordnung des weiblichen bzw. männlichen Prinzips zu den Begriffen links und rechts konnte ich bei den Bulsa keine eindeutigen Belege finden. Wohl werden Frauen stets so bestattet, dass ihr Gesicht nach Westen zeigt, Männer legt man so in das Grab, dass sie nach Osten blicken [Endnote 20]. Hier spielt aber wohl eher die Ausrichtung auf die aufgehende und untergehende Sonne eine Rolle.
Mehrere Beispiele sind mir jedoch dafür bekannt, dass das männliche bzw. weibliche Prinzip mit den Begriffen groß und klein assoziiert wird. Dabei werden die Ideen weiblich und groß einerseits, männlich und klein andererseits einander zugeordnet. Ein großer Aschenhaufen, wie man ihn z.B. vor einem Häuptlingsgehöft antrifft, wird als tampoi nuebi (nuebi = weiblich) bezeichnet, einen kleinen Aschenhaufen nennt man tampoi diok (diok männlich). Von den Blasinstrumenten, die aus Büffelhörnern hergestellt werden und von denen bei Festlichkeiten bis zu sechs geblasen werden (Kröger 2001: 732), heißt das größte, tieferklingende Blashorn namun-nuebi (weibliches Horn), ein kleineres, höherklingendes Horn namun-diak (männliches Horn). Hiermit stimmt überein, dass eine tiefe menschliche Stimmlage, wie sie ja häufiger bei Männern anzutreffen ist, als loeli-nuebi (weibliche Stimme) bezeichnet wird, eine hohe Stimme (mein Informant spricht von “Kindersopran”) nennt man loeli-diak (männliche Stimme). Die Zahl der Beispiele ließe sich noch beträchtlich vergrößern.
Leider konnte ich nur widersprüchliche Äußerungen darüber hören, ob bei einem nipok-tiim der kleinere oder der größere Medizintopf als männlich bezeichnet wird. Dass große Dinge mit der Zahl 4, kleinere Dinge mit der Zahl 3 assoziiert werden, ließ sich für die Bulsa nicht nachweisen.

Ad 4 und 5: Pobsika und gaasika
Pobsika und gaasika möchte ich als typische Riten der Wiedereinordnung (agrégation) in das profane Leben bezeichnen. Während pobsika ein bestehendes Sichttabu aufhebt, erlaubt die gaasika-Rite den {331} Verzehr von Dingen, deren Genuss vorher verboten war. Die Aufhebung eines Tabus durch ein gemeinsames Mahl [Endnote 20a] scheint es nicht nur bei den Bulsa zu geben, denn auch van Gennep [Endnote 21] schreibt im Zusammenhang der Erörterung von Riten, die beim Neubau eines Hauses Anwendung finden:

Aux rites de levée de tabou… succédent des rites d’agrégation: libations… partage du pain, du sel, d’une boisson, repas en commun…

Ad 6: Ponika
Schwierigkeiten der Einordnung in das Schema van Genneps bereitet die rituelle Rasur des Kopfhaares (ponika). Auf den ersten Blick scheint sie zusammen mit Bemalungen (bei Verletzung eines Menschen, bei Totengedenkfeiern usw.) und außergewöhnlicher Kleidung (Exzisionsfasern, “rote Mütze” u.a.) den Sinn zu haben, die gefährdete Person auch durch ihre äußere Erscheinung von anderen Personen abzuheben. Van Gennep schreibt selbst über das Abschneiden der Haare: “Or, couper les cheveux, c’est séparer du monde antérieur” (S. 238).
Gegen diese Erklärungen scheint die Tatsache zu sprechen, dass die Haarrasur bei den Bulsa erst am Ende einer rituellen Handlungsreihe auftritt. Die meisten Bulsa konnten mir auf Befragung keine einleuchtende Erklärung für die ponika-Rite geben, jedoch machte man mich darauf aufmerksam, dass alle Bulsa-Häuptlinge und Erdherren (teng-nyam) sich ständig ihren Kopf kahlscheren lassen müssen, während einige Medizinmänner (tiim-nyam) nie ihr Kopfhaar schneiden dürfen [Endnote 21b].
Bei E. Haaf [Endnote 22] finde ich einen erklärenden Hinweis:

Eine Behandlung der Pocken kennen die Kusase nicht. Man ist nur darauf bedacht, dem Erkrankten rechtzeitig die Haare zu scheren. Man nimmt nämlich allgemein an, dass die Krankheit, wie übrigens auch die Gifte, in die Haare steigt; würden diese nicht entfernt und sorgfältig vergraben, so gehe die Erkrankung auf andere Leute über. Wird das Haarscheren versäumt, kann dem Kranken, falls er stirbt, kein normales Begräbnis gewährt werden.

{332} Bei den Bulsa habe ich eine so eindeutige Erklärung für die ponika nicht erhalten, jedoch gibt es Anzeichen dafür, dass bei ihnen ähnliche Vorstellungen vorhanden sind. Aguutalie sagte in ihrem Beschneidungsbericht über die ponika:

Ka ngarika zuesa le la.
Es (das Kopfhaar) ist Beschneidungshaar.

Als ich sie fragte, was sie damit meine, antwortete sie mir, dass das Haar während und nach der Beschneidung gewachsen sei und deswegen abgeschnitten werden müsse. Mehr war von ihr nicht zu erfahren.
Rückblickend kann nach diesen Erklärungen die Aussage van Genneps, dass ein ritueller Haarschnitt eine Person von dem Vorausgehenden lösen soll, auch für die ponika der Bulsa noch Bedeutung erlangen, wenn man nämlich als vorausgehende Zeit die Periode der Lebenskrise und der damit verbundenen Riten versteht.

Ad 7: Überschütten mit Wasser
Der rituelle Akt des Überschüttens einer Person mit Wasser steht meistens in der Mitte einer rituellen Handlungsreihe. Es mag eingewendet werden, dass eine Waschung eher einen hygienischen als einen rituellen Charakter hat, und das Bad der Brautleute so wie die Bäder der Mutter und ihres Kindes nach der Geburt werden weltweit als hygienische Notwendigkeit angesehen. Wie aber schon angedeutet, tritt neben die profane Funktion etwa des Bades der Brautleute die rituelle Bedeutung, nämlich vorhandene Sexualschuld zu beseitigen. Aber auch hierin erschöpft sich nicht die rituelle Bedeutsamkeit des Bades. Genau wie das tägliche Bad der Bulsa nicht nur reinigen, sondern auch den erhitzten Körper abkühlen soll, so umfasst vielleicht auch das rituelle Bad in einem übertragenen Sinne diese Absicht. Um diese Vermutung glaubhaft zu machen, müsste nachgewiesen werden, dass der Mensch in einer Lebenskrise von den Bulsa als eine Person in “erhitztem” Zustand angesehen wird, die durch die Übergangsriten “abgekühlt” und so in den Normalzustand zurückgeführt wird. Dieser Nachweis fällt uns für die Bulsa nicht besonders schwer, doch sollen zuvor die beiden Buli Wörter für kalt (yogsuk) und heiß (tuilik; tuling) auf ihre sprachliche Bedeutung hin untersucht werden [Endnote 23] {333}.
1. Für das deutsche Wort kalt (bzw. kühl) wird das Buli Wort yogsuk verwandt. Als Wortableitungen zur Wurzel *yog wären u.a. zu nennen [Endnote 23a]:

yogsuk, Pl. yogsa (adj.) kühl, kalt, grün (Vegetation), frisch, nass, feucht, furchtsam
yog(i) (v.), yok kühl sein, kühl werden, gesund sein, anfeuchten (bes. Material zum Flechten und Weben), flechten, weben
yogsa (v.) kühl sein, frisch sein
yogli (v.) sich erfrischen (durch Trinken oder Baden)
yogsum, yogsim, Pl. yogsita Kühle, Feuchtigkeit, Schatten, Furcht
yog, Pl. yogta Nacht
yog-nyieng, Pl. yog-nyiengsa kranke Person (nyieng = krank)
chali yogsum sich fürchten (wörtl.: aus dem Schatten laufen)
kali nying yogsa sich ausruhen; glücklich und zufrieden sein (kali = sitzen,
nying= Körper)
suiyogni Ausgeglichenheit, Bedachtsamkeit (wörtlich: kühles Gemüt)
Ba sue a yogsa ale chaab. Sie vertragen sich (Ihre Herzen sind untereinander kalt).
Wa yog kama. Er ist kalt. Er ist tot.
ku(m) yogsuk “frischer Tod” (ein Tod, der gerade erst eingetreten ist)
nying yogsa Gesundheit

Die knappe Zusammenstellung zeigt, dass die Sprachwurzel *yog, deren Grundbedeutung vielleicht ‘kühl’ ist, sehr stark zu den Nebenbedeutungen feucht, nass und dunkel (vgl. Nacht, Schatten) tendiert. Dies ist nicht {334} verwunderlich, denn im heißen Bulsa-Land bringen Feuchtigkeit (Regen, Bad durch Überschütten usw.), Schatten und Nacht dem Körper die ersehnte Abkühlung. So können leicht die Bedeutungen kühl und nass für das gleiche Wort (yogsuk) eintreten.

2. Für das Wort tuilik, tuling (heiß) sollen folgende Ableitungen exemplarisch aufgeführt werden:

tuilim, Pl. tuilita (n.) = Hitze, Verlangen, Neid
tuila (v.) = heiß sein, erhitzt sein
tualengi (v.) = erhitzen
nyintuila (n.) = Krankheit (wörtl. ‘Hitze des Körpers’)

Es wäre nicht ausgeschlossen, dass auch zu den folgenden Begriffen eine etymologische Beziehung besteht:

tuok, Pl. tuosa (adj.) schwierig, bitter,
tua, toa (v.) schwierig sein, bitter sein
tuaring (v.?) zornig (sein), tadeln
tuum [tyym] Krankheit, ein schwieriges Ding
tuini, Pl. tuima (n.) Arbeit

Auch wenn man die zweifelhaften letzten Ableitungen nicht berücksichtigt, zeigt sich, dass mit der Wurzel *tuil neben der Idee der Hitze auch eine Unausgeglichenheit des Körpers ausgedrückt werden kann (Verlangen, Neid, Krankheit) und dass die Assoziationen dieser Sprachwurzel *tuil negativer sind als die der Wurzel *yog.
Es soll nun versucht werden, die Begriffe kühl (yogsuk) und heiß (tuilik) auf die Übergangsriten zu beziehen. Gleichzeitig soll der Nachweis erbracht werden, dass in Übergangsriten der Bulsa der Mensch von einem “erhitzten” in einen “abgekühlten” Zustand geführt werden soll. Als Ausgangspunkt bietet sich die Rede des Wahrsagers und seines Gehilfen an, die bei der wen-piirika im Hause L. Amoaks gehalten wurde (Text: {S. 150}). Der Wahrsager und sein Gehilfe äußern in ihrem Gebet, das zusammen etwa 320 Wörter umfasst, fünfmal den Wunsch, dass der Körper des Kindes kühl werde (...ate wa nyinka yok ngololo), dreimal wird außerdem die Hitze des Körpers erwähnt. Es geht aus den Reden hervor, dass das wen des Kindes die Hitze geschickt hat und nun durch Opfer veranlasst wird, den Körper wieder kühl zu machen. Es {335} wurde mir gesagt, dass mit Hitze der krankhafte Zustand Akapamis gemeint sei, aber Akapami war im Augenblick des Opfers vollkommen gesund, sein Körper war jedoch noch “heiß”. Die vorausgehenden Krankheiten und Erziehungsschwierigkeiten waren nur Ausdruck seines “heißen Körpers”, der mit Hilfe seines wen in einen kühlen Zustand überführt werden sollte.
Auch die pobsika-Riten können mit dem Grundgedanken der Abkühlung in Verbindung gebracht werden. Jede Asche [Endnote 24] hat den Prozess der Erkaltung hinter sich. Ebenso wollen auch die Personen, die die pobsika-Riten ausführen, ihren “heißen” und gefährdeten Zustand beenden.
Dieser Zusammenhang ist schon J. Goody [Endnote 25] bei den LoWiili aufgefallen:

Finally it is said that in any fighting the joking partners of either combatant could bring the fight to a standstill by “throwing ashes” (loba tampelo), a phrase, often used metaphorically, which invokes the essential features of the relationship, the power to make “hot things cold”, to restore equilibrium in situations where the group or individual has lost control.

Es gibt Anzeichen dafür, dass bei anderen ethnischen Gruppen Nordghanas ähnliche Vorstellungen bestehen [Endnote 25a].
Nicht immer wird der “heiße Zustand” als etwas angesehen, das schnell in einen kühlen Zustand überführt werden muss. E. Mendonsa (1975: 66) berichtet von der Herstellung eines Nadima-Armreifens, der bei den Sisaala die Seele des Trägers verkörpert. Der Schmied darf vor Beginn der Arbeit sein Gesicht nicht mit Wasser waschen, weil ihn dieses seines heißen rituellen Zustandes beraubt hätte (removing him from a ritual “hot” state). Auch der heiße Armreif darf nach seiner Herstellung nicht in einen kühlen Zustand überführt werden: “He [the blacksmith] does not dip it in water to cool it off, as is normally done with other metal objects he makes [Endnote 25b]”.
Rattrays Gewährsmann Victor Aboya berichtet über die Nankanse (Gurensi), dass bei diesen ein Gatte, der die erste Schwangerschaft seiner Frau herbeisehnt, die Ahnen durch Opfer und Versprechen günstig stimmen will [Endnote 26].

He does all this until he will arrive at the true position (zia) and his body become cool … Others… cool themselves properly (are patient) and the male seeks soothsayers without ceasing…

Hier wird der unausgeglichene, unzufriedene Zustand des Gatten als “heiß” angesehen, und die erwünschte Schwangerschaft der Frau bringt ihm seine “Kühle” zurück. Später (S. 353) beschreibt Rattray einen tim bagere (Buli: tiim bogluk) der Tallensi, der vor allem Kriege verhindern soll. Bein Opfer werden folgende Worte gesprochen {336}:

My father, call your father; let women and children sleep; they wish to shoot arrows; fire wants to burn the land, but I wish it to be cool.

Über Wurzeln des Schibutterbaums in einem Medizintopf berichtet Rattrays Informant (S. 353): ” …when you eat shea butter your heart will become cool.” Auch hier kann der “heiße” Zustand mit einer seelischen Unruhe und Aggressivität (Kriegslüsternheit) in Verbindung gebracht werden. Im ersten Beispiel (fire wants to burn the land) ist allerdings auch eine wörtlichere Auffassung des Wortes “kühl” möglich (Das Feuer des Krieges macht den Boden heiß).
Bei den Kusasi scheint es nach E. Haaf ähnliche Vorstellungen vom “heißem” Körper zu geben, der z.B. bei der Frau mit einer einsetzenden Schwangerschaft in Verbindung gebracht wird. E. Haaf schreibt [Endnote 27]:

Es herrscht die Vorstellung, dass jede Empfängnis “Hitze” im Körper, besonders in der Vagina, hervorruft. Durch diese Hitze würde im Falle einer zu rasch folgenden Schwangerschaft die Milch vergiftet, die das letztgeborene Kind noch braucht.

Eine bestimmte Medizin, die bei den Kusasi zur Betäubung von Wahrsager-Novizen verwendet wird, hat den Namen Puug Buur. E. Haaf übersetzt und erklärt diesen Namen folgendermaßen: “Leib kühlen – kühlen – in der Bedeutung von Schmerz stillen” [Endnote 28].
Wenn hier bei einigen näheren und weiteren Nachbarstämmen der Bulsa festgestellt wurde, dass der “heiße” Körper mit Unruhe und Unausgeglichenheit, mit einem außergewöhnlichem Zustand (Schwangerschaft), mit Schmerz und Krankheit assoziiert werden kann, so treffen all diese Einzelaussagen aus verschiedenen Ethnien für die Bulsa ganz allgemein zu. Es steht auch wohl ohne Zweifel fest, dass Lebenskrisen häufig mit einem “heißen” Zustand in Verbindung gebracht werden und dass bestimmte Übergangsriten oder Teilrituale den Körper wieder in einen “kühlen” Zustand überführen sollen.
Fragt man nun nach dem eigentlichen Zweck der Überführung des Menschen in einen “kühlen” Zustand, so möchte ich als Antwort zunächst die Erklärung J. Goodys für die LoWiili übernehmen, nämlich dass das Gleichgewicht in Situationen, in denen die Gruppe oder das Individuum {337} die Kontrolle verloren hat, wiederhergestellt werden soll [Endnote 29]. Es bleibt die Frage, inwieweit der “heiße Zustand” das soziale Gleichgewicht stört. Ein Rückblick auf die dargestellten Riten der Bulsa zeigt, dass die außergewöhnliche Verfassung (der “heiße” Zustand) des Menschen sich vor allem auf zwei Arten äußern kann:

1. Negative Beeinflussung der Gesundheit,
2. Konfliktanfälligkeit.

Uns interessiert hier besonders die letzte Auswirkung. Hohe Konfliktanfälligkeit und Schwierigkeiten, die Konflikte zu lösen, lassen oft erst auf den “heißen” Zustand einer Person schließen. Es sei an die Konflikte der Kinder mit ihren Eltern vor der segrika und wen-piirika erinnert, aber auch etwa an die Konflikte, die L. Amoaks erste Frau mit den Kindern der anderen Frauen hatte, wodurch eine Umformung ihres wen-bogluk notwendig wurde.
Die Riten und Bräuche haben also ganz im Sinne von M. Gluckman [Endnote 30] die Funktion, soziale Konflikte durch Betonung der Konfliktsituationen zu überwinden. In der Auffassung der Bulsa handelt es sich eher um eine Konfliktlösung durch übernatürliche Kräfte (wena, tanggbana, Schutzgeister usw.) als durch bewusstes soziales Arrangement. Die Riten enthalten jedoch in ihrem Ablauf auch Elemente, die aus einem rein profanen Sichtwinkel als echte Schritte zu einer Überwindung sozialer Konflikte angesehen werden können. Einige sollen hier aufgezählt werden:

1. Bewusstmachung der Konfliktsituation und der wirklichen oder potentiellen Widersacher
Unbewusste aggressive Gefühle werden in den Riten auf die Bewusstseinsebene erhoben, und die Objekte der Aggressionen werden von der Gemeinschaft genannt, z.B. nach der Exzision die Eltern, nächstjüngere Geschwister usw., mit denen das Mädchen Asche blasen muss. Hierdurch gelingt es dem Individuum eher, aggressive Gefühle zu verarbeiten und sie als etwas Natürliches zu betrachten (“Es wird in solchen Situationen immer so gehandhabt”).

2. Vollständige oder selektive Isolierung
Auf dem Höhepunkt der Lebenskrise, z.B. gleich nach Geburt und Beschneidung, wird häufig die betroffene Person von den Personen zeitweise isoliert, die den außergewöhnlichen Zustand verursacht haben {338}. Bei der Geburt und Beschneidung werden Männer möglichst ferngehalten, da sie ja die schmerzhafte Operation veranlasst haben bzw. von der Frau fordern und so leicht zum Ziel weiblicher Aggressionen werden können.
So verbringen in einigen Teilen des Bulsa-Landes die beschnittenen Mädchen gleich nach ihrer Exzision einige Tage fast völlig isoliert in einem dok des Gehöfts. Die Gebärende oder die Beschnittene wird außerdem nur von Frauen betreut, die die gleiche Prozedur schon selbst hinter sich haben und daher auch nicht zum Gegenstand von Neidgefühlen werden können. Auch das Verhängen von Tabus (besonders Sicht- und Sprechtabus) soll die Person in einer Lebenskrise für eine begrenzte Zeit von potentiellen Konflikterregern fernhalten.

3. Feststellung von Gemeinsamkeiten und gemeinsame Handlungen der Konfliktpersonen
Ein gutes Ausdrucksmittel für die Betonung der Gemeinsamkeiten zwischen konfliktträchtigen Personen ist das gemeinsame Opfer an die gemeinsamen Ahnen oder andere “Hausgötter”. Wirkt schon bei kleinen Streitigkeiten des Alltags das Bewusstsein der gemeinsamen Abstammung konfliktmildernd (“Wenn er nicht mein Bruder wäre, würde ich mir das nicht gefallen lassen”), so wird dieses Bewusstsein durch gemeinsame rituelle Handlungen noch gestärkt. Vor allem das gemeinsame Opfermahl, das die Opfergemeinschaft zusammen mit den Ahnen einnimmt, stellt dieses Wir-Bewusstsein ständig zur Schau. Dass ernste Konflikte und ein gemeinsames rituelles Mahl sich ausschließen, zeigt sich deutlich an dem teng-Ordal, bei dem alle Personen einer Gemeinschaft (Hausgemeinschaft, Subsektion, Klansektion usw.) Erde eines bestimmten Heiligtums (teng, tanggbain oder ma-bage) essen. Die Person, die das Leben der Gemeinschaft etwa durch Hexerei gestört hat, wird nach diesem gemeinsamen Mahl sterben {S. 172}.
Wenn auch m.E. gewöhnliche Ahnenopfer nicht diesen Ordalcharakter haben, so ist es doch eine Tatsache, dass Personen, unter denen es ernste Konflikte gibt, nicht gerne gemeinsam opfern (vgl. S. 170) und dass eine zeremonielle Begrüßung und ein gemeinsames Opfer stets als ein erster Schritt zur völligen Versöhnung angesehen werden.

4. Rollentausch und abweichendes Rollenverhalten
M. Gluckman befasst sich in seinem Werk Custom and Conflict in Africa {339} und hier besonders in dem Kapitel “The Licence of Ritual” mit solchen Riten, die in ihren Handlungen sonst übliche soziale Rollen in ihr Gegenteil verkehren: Männer spielen Frauenrollen, der Herrscher übernimmt die Rolle des Dienenden; wo sonst Ehrfurcht und Respekt verlangt werden, offenbaren die Riten Respektlosigkeit und Rebellion. M. Gluckman schreibt über diese Riten:

These rites of reversal obviously include a protest against the established order. Yet they are intended to reserve and even to strengthen the established order … (S. 109)

Für Gluckmans Thesen lassen sich bei den Bulsa nicht so eindeutige Beispiele finden wie der Autor sie selbst für Gesellschaften Süd- und Südost-Afrikas (Zulu, Tembu, Barotse u.a.) aufführt. Ein Geschlechterrollentausch kann bei Totengedenkfeiern demonstriert werden. Eine Frau, bekleidet mit dem Schurzfell der Männer, kann auf einer rituellen Ebene den männlichen Verstorbenen personifizieren und z.B. eine Kriegstanzgruppe anführen (Inf. R. Schott). Ob bei bestimmten Gelegenheiten (z.B. bei den Einsetzungszeremonien) ein Häuptling oder Erdherr (tengnyono) rituell die Rolle eines Dieners übernehmen kann, müsste eine genauere Untersuchung noch zeigen.
Recht viele Beispiele sind mir jedoch dafür bekannt, dass in bestimmten Ausnahmesituationen die schuldige Achtung anderen Respektspersonen gegenüber in ihr Gegenteil verkehrt wird. Allem voran müssten hier die Scherzverhältnisse (gbieri oder ale chaab leka, wörtl.: sich gegenseitig beleidigen oder ) erwähnt werden, die bei den Bulsa zwischen einzelnen Personen, zwischen Klansektionen (z.B. Sandema Choabisa und Longsa) oder zu fremden Stämmen und Völkern (z.B. Bulsa – Zaberma) bestehen können. Auch das sehr freizügige Benehmen einer Schwangeren gegenüber, nachdem ihre Schwangerschaft in der poi-nyatika verkündet worden ist, müsste in diesem Zusammenhang genannt werden. Auf das respektlose Verhalten einer Hochzeitsgruppe junger Burschen, das diese etwa den Hausherren (yie-nyam) in Liedern entgegenbringt, wurde schon hingewiesen, und vielleicht gehört auch das äußerlich “unverschämte” aber voll institutionalisierte Benehmen der Brüder einer Braut im Hause des Bräutigams {S. 276 ff.} in den hier besprochenen Rahmen.
Andeutungen von Rollentausch innerhalb einer Familie enthält das {340} Kapitel über wen-Zeremonien. Wie beschrieben kann das wen eines kleinen Kindes eine Herrscherstellung unter allen wena des Hauses einnehmen, wenn auch das Kind selbst weiterhin seinem Vater Gehorsam schuldig ist. Es wurde auch erwähnt, dass etwa ein zehnjähriger Junge (z.B. Ayomo Atiim im Hause L. Amoaks) in ritueller Hinsicht das Amt des yeri-nyono einnehmen kann, wenn die Totengedenkfeier des zuletzt verstorbenen Hausherrn noch nicht abgehalten wurde. Ein solcher Junge, meistens der jüngste Sohn des Verstorbenen, ist als einziger Hausbewohner berechtigt, den Ahnen Opfer darzubringen, auch wenn im Haus viel ältere Männer leben [Endnote 31].
Als echtes Beispiel für licence in ritual muss die Aufhebung sexueller Tabus bei großen Festen gelten {285}. Wie erwähnt ist bei dieser Gelegenheit Ehefrauen außerehelicher Sexualverkehr weniger verpönt, und auch in den Exogamieregeln bestehen Lockerungen.
In der Beurteilung der hier für die Bulsa aufgezählten Beispiele für licence in ritual möchte ich mich M. Gluckman anschließen und diese ritualisierten Handlungsweisen nicht als soziale und moralische Auflockerungserscheinungen betrachten; nur ein soziales System, dass voll funktioniert, kann gefahrlos bei ganz bestimmten, meistens zeitlich begrenzten Gelegenheiten Freiheiten gestatten, die sonst eine gesellschaftliche Ordnung zugrunde richten könnten, so aber nicht nur ein psychisches Ablassventil sind [Endnote 32], sondern auch die Annahme des etablierten Systems demonstrieren und dadurch stärken.

 

4. TRADITIONELLE RITEN IN DER MODERNEN GESELLSCHAFT

Ist bisher darauf hingewiesen worden, dass Übergangsriten einen konflikthemmenden Charakter haben können, so tritt in neuerer Zeit bei den Bulsa das Phänomen auf, dass diese Riten bei der mehr oder weniger christianisierten jüngeren Generation nicht nur weitgehend als konflikteinschränkende Institution fortfallen, sondern selbst konflikterzeugend wirken können, wenn etwa ein Vater seinen Sohn oder seine Tochter gegen deren Willen zur Durchführung solcher Riten zwingt {341}.
Nach meinen Erkundigungen gehören Konflikte wegen der Teilnahme oder Nichtteilnahme an traditionellen rituellen Handlungen (Errichtung eines wen-bogluk, Exzision, Durchführung der Hochzeit usw.) neben Fragen der Arbeitsleistung auf dem Feld zu den häufigsten Konfliktanlässen zwischen Schülern und ihren analphabetischen Vätern, während bei Schulentlassenen wohl stärker finanzielle Streitigkeiten über die Aufteilung des selbstverdienten Geldes im Vordergrund stehen. Dies soll jedoch nicht bedeuten (wie ich es vor Beginn meiner Feldforschungstätigkeit angenommen hatte), dass Konflikte zwischen schulerzogenen Kindern und ihren analphabetischen Vätern grundsätzlich immer viel größer sind als zwischen analphabetischen Kindern und analphabetischen Vätern, denn der neuen Generation der Schüler und Schulabsolventen stehen andere Mittel der Konfliktmeidung und Konfliktmilderung zur Verfügung.
Eine Isolierung bestimmter Personen {S. 337f.}, die innerhalb eines Gehöftes schwer und nur für kurze Zeit durchführbar ist, ist für den Schüler schon durch die Tatsache gegeben, dass die Schulen meistens kilometerweit vom elterlichen Gehöft entfernt sind, und ein analphabetischer Vater wagt es kaum, ein Schulgebäude zu betreten, um mit Lehrern Kontakte aufzunehmen oder über Erziehungsschwierigkeiten seines Kindes zu sprechen. Es wird auch deswegen zwischen älteren Schülern und ihren Vätern weniger zum Streit über innere Belange des Hauses kommen (Eifersucht des Vaters wegen eines Flirts des Sohnes mit einer jüngeren Frau des Vaters, Anmaßung von Rechten des Vaters durch den Sohn usw.), da der Schüler weitgehend das Interesse an den Angelegenheiten des Gehöfts verloren hat. Nach seiner Schulentlassung plant er gewöhnlich eine mehrjährige Fahrt zum Süden Ghanas. Stärker als der analphabetische Jugendliche lebt der Schüler in der Gemeinschaft nichtverwandter Gleichaltriger. Im Gespräch mit ihnen hat er eine Möglichkeit, seine eigenen Konflikte mit Verwandten als altersgemäße oder situationsbedingte Krisen zu erkennen, eine Aufgabe, die früher z.T. durch Riten erfüllt wurde {vgl. S. 337].
Neben das “Wir-Bewusstsein” der Personen gemeinsamer Abstammung ist für den Schüler die Gruppe Gleichaltriger mit gemeinsamen Interessen und Zielen getreten, mit der er gemeinsame Probleme bewältigt {342} (Schulleben, Examina usw.), gemeinsame religiöse Handlungen vollzieht (gemeinsames Morgengebet, Sonntagsgottesdienst usw.), gemeinsame Veranstaltungen durchführt und Feste feiert (Fußballspiele, Tanzveranstaltungen in der Schule usw.).
Wenn in der neuen, “modernen” Lebensweise die alten Riten einen großen Teil ihrer ehemaligen Bedeutung verloren haben und durch neue religiöse (christliche) Riten ersetzt sowie durch neue Lebenseinstellungen und Handlungsweisen verwässert worden sind, so ist die Frage von großer Wichtigkeit, ob die Übergangsriten als Exponent der traditionellen Welt in der modernisierten Gesellschaft der jüngeren Generation heute, aber auch in der Bulsa-Gesellschaft der Zukunft, noch eine Überlebenschance haben. Sicherlich kann diese Frage nicht grundsätzlich für alle Riten gleich entschieden werden. Schon heute zeigt sich, dass verschiedene Übergangsriten mehr oder weniger lebensfähig bzw. unzeitgemäß sind.
So ist es offensichtlich, dass etwa die Mädchenbeschneidungen und ihre Riten in neuerer Zeit viel an Bedeutung verloren haben. Es mag daran liegen, dass auch den Bulsa die Funktion dieser Einrichtung nicht (mehr?) einsichtig ist, denn die angeführten Gründe (“es war immer so”; “sonst mache ich mich lächerlich”; “sonst werde ich als Mann angesehen und erhalte die Totengedenkfeier eines Mannes”) reichen für die meisten Schülerinnen nicht aus, um sich einer gefährlichen, schmerzhaften und zudem illegalen Operation zu unterziehen.
Das Schicksal der mit wen-bogluta verbundenen Riten ist eng geknüpft an die Frage, ob das Christentum in naher Zukunft die traditionelle Religion verdrängen wird. Wenn auch die katholische Mission z.Z. mit einer gewissen Großzügigkeit duldet, dass Getaufte den wena Opfer darbringen, so ist mit einer echten Synthese christlicher Rituale und wen-Zeremonien wohl nicht zu rechnen.
Anders sieht es mit Namensgebungs- und Hochzeitszeremonien aus. Da Namensgebung und Hochzeit ihrem Wesen nach nicht rein religiöser Natur sind, könnte eventuell eine Synthese zwischen Bulsa-Traditionen, christlichen Ritualen und europäisch säkularen Einrichtungen stattfinden, wie sie in einem Versuch schon teilweise für einige Hochzeitsriten unternommen wurde {vgl. S. 301}, zumal eine traditionell geschlossene Bulsa-Ehe von den christlichen Kirchen und vom Staat Ghana als gültig {343} anerkannt wird [Endnote 32a]. Allerdings scheint die traditionelle Ehe, wenn sie polygam geführt wird, auch ein starkes Hindernis für eine Christianisierung zu sein. Keine der christlichen Kirchen erlaubt einem christlichen Bulo die gleichzeitige Ehe mit einer zweiten oder dritten Frau, und Kompromisse für polygam verheiratete Bulsa, die Christen werden wollen, sind bisher für beide Seiten noch wenig befriedigend.
Bei Namensgebungen scheinen sich in akkulturierten oder christlichen Familien einfachere Formen ohne Wahrsagerbefragung und ohne Opfer herausgebildet zu haben, und mitunter geben auch nichtchristliche Eltern ihrem Kind schon in den ersten Lebenstagen einen christlichen (englischen) Namen, um später eine traditionelle segrika nachzuholen. Es ist zu vermuten, dass die Tendenz, einem Kind schon gleich nach der Geburt einen Namen zu geben, sich in naher Zukunft noch verstärken wird, vor allem durch die neu eingeführte und von den Behörden geforderte Anmeldepflicht von Geburten, da in den Geburtsurkunden auch schon der Name des neugeborenen Kindes eingetragen werden muss.
Das Schneiden der Stammesnarben hatte schon vor dem Eindringen der Europäer fast jeden religiös-magischen Bezug verloren, der – wenigstens in Rudimenten – beim Anbringen der Nabelschnitte, bei den bia-kaasung-Narben oder bei den südlichen Gesichtsnarben noch zu finden ist. Das Überleben der Bulsa-Skarifizierungen scheint mehr von ästhetischen und tribalpatriotischen Gesichtspunkten abzuhängen. Die jüngere Schülergeneration verhält sich großenteils ablehnend.
Sehr eklektisch werden die überlieferten Verhaltensvorschriften bei Schwangerschaft und Geburt befolgt. Riten, die die Beziehungen der Schwangeren bzw. Wöchnerin zu anderen Personen regeln (z.B. poi-nyatika und pobsika), werden selbst von christlichen Bulsa noch recht häufig ausgeübt. Die öffentliche Verkündigung der Schwangerschaft ist z.T. von christlichen Missionaren übernommen worden (vgl. S. 63).
Sehr aufgeschlossen scheinen auch nichtchristliche Bulsa den medizinischen Ratschlägen und dem medizinischen Können der europäisch beeinflussten Krankenstationen gegenüberzustehen. Die traditionellen Speiseverbote für Schwangere, die sich gerade auf proteinreiche Nahrungsmittel beziehen, werden vielfach in ihrer Nützlichkeit angezweifelt. Selbst Krankenhausgeburten, bei denen die Mutter weitgehend dem {344} Einfluss des Hausherrn und des Wahrsagers entzogen ist, scheinen immer beliebter zu werden.
Nach all diesen mehr hypothetischen Überlegungen über das Schicksal der traditionellen Übergangsriten muss das Ende doch offen bleiben, zumal die Zukunft der noch zum großen Teil von Weißen geleiteten Missionsstationen und damit auch das Schicksal des Christentums in Ghana von politischen Entscheidungen der Zentralregierung in Accra abhängt. Größere nativistische Bewegungen, die traditionelles religiöses Gedankengut und alte rituelle Praktiken wieder aufgreifen, um sie mit modernen Gedanken zu verbinden, sind mir für Nordghana nicht bekannt [Endnote 33]. Jedoch können sie für die Zukunft nicht völlig ausgeschlossen werden, zumal bei Einzelpersönlichkeiten oft nach einer christlichen Jugendzeit eine Neuzuwendung zum traditionellen Glauben und eine selektive Wiederaufnahme von Bulsa-Riten und magischen Praktiken beobachtet werden kann.

 

ANMERKUNGEN

{345}

SCHLUSS

1  Allein in der Darstellung der Brautwerbung und Hochzeitszeremonien konnten in der vorliegenden Arbeit ältere und neuere Bräuche voneinander getrennt werden.

1a   2013 konnte ich den juik (Mungo) – Kult und seine einzelnen Teilstrukturen für mehrere Ethnien Nordghanas beschreiben.

2  The Tribes of the Ashanti Hinterland, Bd. I, 1969: 42-45.

3 Diese Sprachfamilie erhielt ihren Namen nach den Sprachen der Mossi (Sprache: Mole) und Dagomba (Sprache: Dagbane). In der Tabelle {S. 312} gehören die Sprachen Buli, Mole, Dagbane, Mampruli (Mampelle), Nankane (Gurenne), Tale (Tali, Talene), Kusal und Dagari zu dieser Gruppe. Kasem (Kasene) und Isal zählt man zu den Grussi (Grunchi)-Sprachen.

4  S. 43: tib-yin (def. Form?)

5  ‘Terminologie religieuse au Soudan,’ L’Anthropologie, 33 (1923), S. 371 – 83.

6  ‘Eine Studie über die religiösen Vorstellungen der Kusase,’ Evangelisches Missions Magazin, 108 (1964), S. 149.

7  In der Orthographie sollte man den [γ]-Laut sinnvollerweise immer schreiben. In dieser Arbeit wurde er durch g wiedergegeben, wie es auch von vielen schreibkundigen Bulsa praktiziert wird. Andere Möglichkeiten wären gh (z.Z. in Buli wenig üblich) oder γ (drucktechnische Schwierigkeiten).

8  Vgl. K. Dittmer, Die sakralen Häuptlinge, S. 139 und Einleitung der vorliegenden Arbeit, S. 17f.

9  ‘A Cross-cultural Study of Female Initiation Rites,’ American Anthropologist, 65 (1963), S. 837-853.

9a  Victor Turner (1967: 50f.) unterscheidet drei Ebenen von Symbolen: 1. the level of indigenous meaning, 2. the operational meaning, 3. the positional meaning. Die erstgenannte Bedeutung kann durch Befragung von kompetenten Informanten erschlossen werden, die zweite durch ihre praktische Anwendung. Die dritte Bedeutungsebene lässt sich durch Vergleich mit anderen Symbolen des sozialen Systems ableiten. Turners Einteilung der Symbole kann auch für eine Gliederung der Symbolgehalte von Bulsa Riten herangezogen werden.

10  Vgl. J. Brown, S. 843. Die Autorin folgt in ihrer Argumentation weitgehend John W.M. Whiting (‘Socialization Process and Personality,’ in: Psychological Anthropology: Approaches to Culture and Personality, Francis L.K. Hsu, ed. Hornewood, Ill., The Dorsey Press, 1961).

11  Hier sehe ich einen Widerspruch in den Aussagen Rattrays (The Tribes of the Ashanti Hinterland, S. 397, Fußnote. 1), denn er behauptet selbst, dass die Mamprussi die Exzision nicht kennen (S. 167). E. Haaf (Die Kusase, S. 51) berichtet, dass die Kusase (Kusasi) den Brauch von den Busanse übernommen haben {373}.
Ich halte hier die Aussagen Knudsens (1994) für zuverlässigere, da sie Exzisionen in Nordghana intensiv durch zahlreich Besuche, Interviews und Beobachtungen erforscht hat. Nach ihr kommen Mädchenbeschneidungen bei folgenden Ethnien vor: (Northern Region) Bimoba, Awuna (Kasena), Konkomba (only a few lineages), Mo oder Dega, Pantera (Nafana), Safalba, Tampulensi, Vagla, Lo-Dagaa und Lo-Wiili. (Upper West Region:) Dagaaba, Sisaala, Wala, Wa. (Upper East Region:) Kusasi, Busansi, Frafra, Tallensi, Bulsa, Nankanni.
Nicht vorhanden sind weibliche Beschneidungen bei den Bassari, Chakosi, Dagomba, Gonja Mamprusi und Koma.

12  The Andaman Islanders (The Free Press of Glencoe,1964), S. 230.

13  Vgl. das Zitat in der Einleitung der vorliegenden Arbeit, S. 23.

14  Andere wichtige sakrale Handlungen (z.B. Opfer an die Ahnen), die auch mit vielen Übergangsriten verbunden sind, deren Bedeutung sich jedoch leicht aus dem rituellen Zusammenhang erschließen lässt, sind in der folgenden Übersicht nicht aufgenommen worden.

14a  Vor einer Wahrsagersitzung nimmt der Klient zwei kleine Stöckchen oder Halme, bestreicht mit ihnen den Wahrsagerbeutel und wirft sie dann fort. Diese Handlung wird piirika genannt und hier mit ‘Reinigung’ übersetzt. Sie soll das Wahrsagerbesteck von allen bösen Einflüssen der vorangehenden Sitzung befreien. Man sagt dabei zum Beispiel: “Tanggbana, ti-baasa ale baan-bisanga ale jo fi jigi la, ba la miena daungta al n piiri a basi”. Übersetzung: ‘Erdschreine, böse Medizin und [Einflüsse der] Klienten, die zu diesem Ort kamen: All ihren Schmutz reinige und beseitige ich’.

15  Während die rot-schwarzen Hüftschnüre aus je zwei einfarbig roten und einfarbig schwarzen Schnüren bestehen, ist die schwarz-lila Schnur in sich selbst zweifarbig. Lila Farbstoff wird aus den Blättern einer bestimmten Bohnenart gewonnen. Vgl. Ethnographische Sammlung des Sem. für Völkerkunde der Universität Münster (seit 10. Februar 2016 im Forum der Völker, Werl).

15a  Sie hat z.B. Anspruch auf einen eigenen Innenhof, wenn dies aus räumlichen Gründen im Gehöft möglich ist.

15b  S. Dinslage (1981: 138-141) widmet, in Bezug auf die Ubi, Bambara, Gurma und Bulsa, ein eigenes Unterkapitel (9.8.) der Farbsymbolik bei den Mädchenbeschneidungen.

15c  E. Haaf 1967.

16  Eine kleine, heute vielleicht verbesserungsbedürftige Verbreitungskarte für Afrika findet sich bei L. Frobenius, Monumenta Africana (Frankfurt, 1929), S. 117.
Frobenius schreibt diese Zahlenzuordnung (3 = männlich, 4 = weiblich) dem syrtischen Kulturkreis zu.

17  A.W. Cardinall (Tales Told in Togoland, 1931: 62) konnte keine Erklärung für die Zahlenzuordnungen finden. Vgl. auch C.G. Jung (Bewusstes und Unbewusstes, Frankfurt und Hamburg 1957, S. 75, 121f. und 132); E. Haaf (Die Kusase, S. 29) bezeichnet Triade und Tetrade als archetypische Strukturen.
Vgl. auch F. Herrmann, Symbolik in den Religionen der Naturvölker (Stuttgart, 1961), S. 246 ff.

18  Nach einer Information aus Gbedema (fn M10a) besitzt jeder Mensch mehrere kikita, die ihn als Komponenten seiner Persönlichkeit kontrollieren. Danlardy Leander (Wiaga) sagte mir, dass jeder Mann 3, jede Frau 4 solcher kikita besitzt.

19  Für diese Zuordnung spricht auch die gleiche Klassenzugehörigkeit mit einer Pluralbildung auf -s(a). In Sandema und Chuchuliga heißen kikerisa auch chicherisa.

19a  Diese Aussage wird durch spätere Informationen zum Teil entkräftigt.

20  Da der Kopf nach Süden weist (Inf. Ayarik), liegen Frauen also auf der linken Seite, Männer auf der rechten. Dies deckt sich mit Aussagen, die Rattray (The Tribes of the Ashanti Hinterland) für die Kusasi (S. 391) und Lober (S. 446) macht, während bei den Nankanse (Gurensi) verstorbene Männer nach Rattray (S. 195) auf der linken Seite, Frauen auf der rechten Seite im Grab liegen {374}.

20a  Meine Informantin Margaret berichtet (fn M5b), dass in Gbedema ein Fluch auch durch Trinken der beiden betroffenen Personen aus einer Kalebasse rückgängig gemacht werden kann.

21  Les Rites de Passage, 1909: 31.

21b  Nach Margaret Arnheim (fn M6b) verbieten in Gbedema einige Schreine (bogluta), dass das Haar von Kindern gar nicht gekämmt oder geschnitten werden darf. Dieses Tabu ist angeblich bei den Nordbulsa nur sehr selten anzutreffen.

22  Die Kusase, 1967:154.

23  Neben eigenen Erhebungen machte ich hierbei Gebrauch von der Vokabelkartei der Presbyterianischen Mission und dem Wörterbuch von Melançon-Prost (Dictionnaire Buli-Français, Dakar, 1972). Am ausführlichsten ist heute das Buli-English Dictionary, ed. F. Kröger (1992).
Falls das Verb yuagi (krank sein) etymologisch mir der Wurzel *yog (kühl) verwandt sein sollte, so passt es nicht in unser hier aufgestelltes Schema.

24  Es wurde mir bei Informationen über pobsika-Riten häufig gesagt, dass es nicht die Asche eines bestimmten Stoffes sein muss.

25  The Social Organisation of the LoWiili, 1967: 81.

25a  Vgl. Meier 1992.

25b  Auch ein Bulsa Wahrsager darf sich vor Ausübung der wen-piirika Riten nicht waschen.

26  The Tribes of the Ashanti Hinterland, 1969: 131.

27  Die Kusase, 1967: 91.

28  ‘Eine Studie über die religiösen Vorstellungen der Kusase,’ 1964:157.

29  The Social Organisation of the LoWilli, 1967: 81, Vgl. Zitat S. {335}.

30  Custom and Conflict in Africa (Oxford, 1963), Kap. V: ‘The Licence in Ritual’, S. 109 – 136.

31  Hier handelt es sich jedoch nicht um ein eindeutiges Beispiel für einen Rollentausch, denn dem Jungen wird nur für eine Übergangszeit eine Rolle zugewiesen, die er später wieder ablegen muss, nach längerer Zeit jedoch (als yeri-nyono) erneut bis zu seinem Tode annehmen kann.

32  M. Gluckmann (Custom and Conflict in Africa, S. 125) spricht für einen bestimmten Fall von “high psychological catharsis and relief.” {375}

32a  Moderne Formen von Bulsa Bewerbungen und Heiraten wurden von E. Atuick beschrieben (Atuick 2015: 92-103).

33  Nach 1974 gab es in Teilen des Bulsalandes einige große religiöse Bewegungen, die ich aber nicht als “nativistisch” bezeichnen möchte, da sie aus dem Christentum entstanden sind, dann aber auch einige Elemente aus der traditionellen Religion aufgenommen haben (z.B. Glaube an Hexen und andere böse Kräfte, die von den Anhängern die von den Anhängern bekämpft werden. Am bekanntesten war wohl die charismatische Bewegung von Akawuruk aus Sandema-Kalijiisa, die auf ihrem Höhepunkt jeden Sonntag Hunderte von “Heilsuchenden”, auch aus den Nachbardörfern angezogen hat (siehe Kröger, Buluk 4, 2005: 54-56).

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